Pechvogel: Roman (German Edition)
arbeiten.
»Und wenn er Sie anspricht«, fährt Barry fort, »liefern Sie ihm das Paket aus.«
»Und wie genau soll ich das machen?«, frage ich, während die Asiatin ihr Handy zückt. »Pech kann man nicht als Glück tarnen. In keinem Fall.«
Glück schimmert stets in den unterschiedlichsten Weißtönen: Das von höchster Qualität ist alabasterfarben, das Glück von niedrigster Güte hat die Farbe verdünnter Limonade. Pech hingegen ist immer schwarz – wie das Innere im Lauf einer Waffe. Hochkarätiges Pech absorbiert das Licht wie ein schwarzes Loch.
Die Limousine hält vor der Grace Cathedral.
»Wie Sie das Pech ausliefern, ist Ihr Problem«, bringt Barry die Angelegenheit auf den Punkt. »Mein Problem ist Tommy Wong. Und wenn Sie sich nicht um mein Problem kümmern, Mr. Monday, werden Sie zu meinem Problem. Haben wir uns verstanden?«
Ich wende mich an die Asiatin, die entweder eine SMS schreibt oder Angry Birds spielt. Was auch immer sie tut: Ich finde es außerordentlich unhöflich, in Gesellschaft anderer an seinem Handy herumzufummeln. Manche Leute haben einfach keine Manieren.
»Kann ich mein Glück zurückbekommen?«, frage ich.
Barry greift nach der Saftflasche. »Ich glaube, ich behalte das als Glücksbringer.«
»Sehr witzig«, brumme ich, steige aus dem Wagen und bedanke mich bei Barry und seiner Partnerin für das zauberhafte Gespräch. »Wir sollten uns mal zum Essen verabreden. Ich kenne da dieses richtig gute Thai-Restaurant.«
Barry schenkt mir ein herablassendes Lächeln. »Ich melde mich bei Ihnen, Mr. Monday.«
Dann schließt sich die Tür, und ich sehe zu, wie die Limousine nach rechts abbiegt und schließlich hinter einer Ecke verschwindet.
Kapitel 9
J etzt ist es definitiv an der Zeit abzuhauen – das jedenfalls ist das Erste, das mir in den Sinn kommt. Ich sollte mir ein Taxi schnappen, in meinem Apartment das Wichtigste einpacken, Geld und gefälschte Ausweise zusammenklauben und dann ab gen Norden nach Kanada oder gen Süden nach Mexiko. Vancouver soll hübsch sein. Allerdings mag ich Schnee nicht besonders. Und wenn ich es recht bedenke, hasse ich mexikanisches Essen.
Aber das Ziel ist nicht wichtig. Wichtig ist nur, die Stadt zu verlassen.
Seit drei Jahren ist San Francisco meine Heimat, und allen Problemen zum Trotz hatte ich bislang vor, es hier noch etwas länger auszuhalten. Aber spätestens wenn man von der Regierung entführt, erpresst und dazu genötigt wird, thermonukleares Pech an einen chinesischen Mafiaboss zu liefern, der einen undurchdringlichen Glücksschild um sich errichtet und bereits ein paar seiner Schergen auf einen losgelassen hat, wird es Zeit für einen Tapetenwechsel.
Kurz erwäge ich sogar, mein ganzes bisheriges Leben an den Nagel zu hängen. Mir einen legalen Beruf zuzulegen. Vielleicht sogar Detektiv in Vollzeit. Klar, das wäre eine ziemliche Umstellung, aber mittlerweile kann ich fast die Hälfte meines Einkommens ordentlich besteuern. Der halbe Weg läge also bereits hinter mir. Nicht zuletzt hat es Mandy schließlich auch geschafft, aus der Sache auszusteigen und den »Amerikanischen Traum« zu leben. So schwer kann es dann nicht sein.
Gerade mache ich die ersten Schritte auf eine Mülltonne zu, um das Pech wegzuwerfen, einzupacken und mich aus dem Staub zu machen, da halte ich inne.
Plötzlich sehe ich wieder Mandys Gesicht auf Barry Manilows Laptop und höre ihn sagen, er könne ihr etwas antun. In dem Moment weiß ich, dass ich nicht gehen kann. Ich kann nicht zulassen, dass Mandy etwas zustößt. Nicht wenn ich etwas tun kann, um zu verhindern, dass sie in die Sache verwickelt wird. Ich muss also hierbleiben, bis ich Tommy Wong das Pech geliefert und dafür gesorgt habe, dass diese Regierungsleute von der Bildfläche verschwinden.
Also setze ich mich auf die Stufen der Grace Cathedral und versuche, meinen nächsten Schritt zu planen. Was nicht gerade meine Stärke ist. Es ist schwer genug, sich auf eine Automarke, ein bestimmtes College oder eine Vorspeise auf der Speisekarte festzulegen. Aber wenn du von der Regierung erpresst, von der chinesischen Mafia bedroht und zum Auffinden von verlorenem Bürgermeister-Glück angeheuert wirst, das du selbst gestohlen hast, kann dich das Planen der nächsten Schritte schon mal ein wenig überfordern.
Entscheidungen waren noch nie mein Ding.
Ich brauche einen Berater. Jemanden, der mir beim Pläneschmieden hilft. Ich wäre ja schon mit einer To-do-Liste zufrieden:
- Lebensmittel
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