Pechvogel: Roman (German Edition)
sei denn, sie hatten es nicht besser verdient. Was in der Regel bedeutete, dass wir uns auf einen Schläger an der Schule oder eine hochnäsige Ziege mit Divenallüren einigten.
Aber ohne Mutter und mit einem emotional nicht verfügbaren Vater wuchsen Mandy und ich enger zusammen. Wir begannen, aufeinander aufzupassen und uns gegenseitig zu beschützen. Ich hatte nicht viele Freunde damals. Nicht einen einzigen, um genau zu sein. Für Glücksdiebe ist es nicht leicht, Vertrauensverhältnisse aufzubauen und Freundschaften zu schließen. Dazu kommt: Wer schon mit neun Jahren über ein solches Maß an Macht verfügt, neigt zu Allmachtsphantasien. Mein loses Mundwerk war dabei auch nicht besonders hilfreich.
Im Laufe der nächsten Jahre half ich Mandy dabei, ihre Fähigkeiten als Glücksdiebin weiterzuentwickeln. Wir nutzten das gestohlene Glück nicht für uns selbst: Wir warfen es fort, düngten den Garten damit oder gaben es Großvater.
Als Großvater starb, blieb mir nur noch Mandy.
In der Highschool – ich war noch neu dort, sie schon im vorletzten Jahr – wurden wir dann ein echtes Team. Wir stahlen Glück von den Sportskanonen, den Cheerleadern und der sozialen Elite und gaben es jenen Schülern, die nirgends dazugehörten und von den anderen stets schikaniert wurden. Niemand merkte, was wir da taten. Nicht mal die Streber und Außenseiter, denen wir das Glück gaben. Wir verarbeiteten es einfach und kippten es in ihre Limonaden und Milchshakes. Oder backten Kekse damit, die wir bei den Proben des Schulorchesters verteilten.
Wir sorgten für Gerechtigkeit und glätteten die Wogen zwischen den sozialen Schichten an der Highschool. Wir waren wie Robin Hood und Marian: Wir nahmen das Glück von den beliebten Arschlöchern und gaben es an die Freaks.
Es war die schönste Zeit meines Lebens.
Doch als ich im Jahr darauf begann, für Geld zu wildern, trieb das einen Keil zwischen Mandy und mich. Sie war der festen Überzeugung, dass man Glück nicht zum eigenen Profit stehlen sollte; ich aber stellte mich meiner unvermeidlichen Bestimmung. Im Sommer nach ihrem Highschool-Abschluss schnappten wir uns der alten Zeiten wegen noch das Glück einiger Yuppies, aber es war nicht mehr wie früher. Als sie ein Jahr später Ted am College traf, gab sie die Glückswilderei vollkommen auf. Seitdem haben wir uns nicht oft gesehen.
Nachdem Mandy gegangen war, wurde mir bewusst, dass ich fortan auf mich allein gestellt war und dass all meine zukünftigen Beziehungen nur ein unglückliches, enttäuschendes Ende finden konnten. Großvater hatte mir das schon als Kind zu erklären versucht, aber damals hatte ich noch nicht erfassen können, wovon er da sprach.
Ein paar Jahre später versäumte ich Mandys und Teds Hochzeit, weil ich stattdessen einem Lottogewinner in Iowa das Glück abgejagt hatte. Mandy rief mich an und blies mir gehörig den Marsch.
»Wo warst du?«
Kein »Hi« oder »Wie geht’s?« Einfach direkt und ohne Umschweife auf Angriffsmodus.
»Wo war ich wann?«
»Letztes Wochenende, du Arschloch.«
»In Iowa. Wieso? Warum bist du denn so sauer?«
»Ach, keine Ahnung. Vielleicht bin ich so sauer, weil du meine Hochzeit verpasst hast! «
Das ist einer dieser Oh-mein-Gott-Augenblicke. Wenn man merkt, dass nichts, das man sagen könnte, die Sache besser machen würde.
»Oh, mein Gott. Entschuldigung. Hatte ich ganz vergessen.«
Na ja. Die Sache schlimmer machen geht immer.
»Du hast es vergessen? «
»Jupp. Hab so einen Lotteriegewinner gewildert, der 308 Millionen Dollar gewonnen hat.«
Das erschien mir zunächst ein vernünftiger Grund zu sein. Kaum hatte ich es jedoch ausgesprochen, fiel mir auf, wie unwichtig es klang.
»Mandy?«
»Ich kann nicht glauben, dass dir das Glückswildern wichtiger ist als die Hochzeit deiner eigenen Schwester.«
Ich wollte mein Handeln erklären, mich rechtfertigen. Doch auf die Schnelle fiel mir nur zu sagen ein: »Es war aber weiches höchster Güte.« Klick. »Hallo?«
Seitdem haben wir kaum miteinander gesprochen.
Der kleine Junge spielt noch immer Fangen rund um den Springbrunnen. Jetzt stürmt er an mir vorbei und passiert kurz darauf einen älteren Asiaten mit Sonnenbrille und einer Baseballkappe der San Francisco Giants, der gerade erst in den Park gekommen ist und anscheinend irgendein Kampfsporttraining absolviert. Der Alte steht auf der Bank rechts von mir und schwingt seine Arme vor und zurück wie ein Affe. Ich schaue ihm ein paar Minuten zu, während
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