Pechvogel: Roman (German Edition)
einkaufen.
- Miete bezahlen.
- Pech an chinesischen Mafia-Obermotz liefern.
Selbst als Kind war es ein Staatsakt, bis ich mich für eine Eissorte entschieden hatte. Hinterher hatte ich jedes Mal das Gefühl, die falsche Wahl getroffen zu haben.
Mein Vater hat immer gesagt, es würde ihn wundern, wie ich es überhaupt schaffte, mich anzuziehen, wenn ich mich schon nicht entschließen konnte, ob ich zuerst mein linkes oder mein rechtes Bein in die Hose stecken sollte. Außerdem meinte er, dass er sich keine Sorgen machen würde, mich jemals beim Masturbieren zu erwischen. Er war sich sicher, dass ich gar nicht erst dazu käme, weil ich mich ständig fragen würde, welche Hand ich benutzen sollte.
Womit übrigens unser Gespräch über die Sache mit den Bienen und den Blumen beendet war.
Vielen Dank für das Gespräch, Dad.
Wie dem auch sei: Zuerst muss ich Tommy Wong auftreiben. Und in der Zwischenzeit muss ich das Pech irgendwo verstauen.
Die Straßenbahn kommt die California Street hinunter und fährt Richtung Van Ness. Kurz denke ich daran einzusteigen, entscheide mich dann aber dagegen. Ich hatte schon deutlich bessere Ideen, als mit hochgefährlichem Pech in Händen durch den Verkehr und einer Straßenbahn hinterherzuhetzen. Selbst Taxi oder Bus zu fahren scheint plötzlich eine ähnlich gute Idee zu sein wie ein Zungenkuss mit einer Steckdose. Also stecke ich den Kasten in meinen Rucksack und gehe rüber zum Huntington Park, um mir dort eine Bank zu suchen und mir über meine Möglichkeiten klarzuwerden. Wenn man fünfundzwanzig Jahre mit der Glückswilderei verbracht hat, kennt man die Risiken. Wenn man auf einmal mit zwei Unzen hochkarätigem Pech unterwegs ist, vergrößern sich die Risiken allerdings exponentiell.
Pech ist nicht tatsächlich so hart wie ein Diamant oder Homer Simpsons Dickkopf. Pech ist geronnen und schwer, hat den Geruch von saurer Milch und die Konsistenz und die Farbe von heißem Asphalt. Wobei Pech jedoch nicht heiß ist – es ist kalt wie der Tod. Nur wir Wilderer nennen es hochkarätig, weil dieses Adjektiv die Auswirkungen des Pechs gut auf den Punkt bringt.
Stellen Sie sich Papierschnittwunden von der Größe des Grand Canyon vor. Oder eingewachsene Fußnägel mit krallenartigen Auswüchsen. Hochkarätiges Pech ist etwas, bei dem einem Ausdrücke wie »Reaktorunfall« und Redewendungen wie »bis zur Unkenntlichkeit verbrannt« in den Sinn kommen.
Also, unter Spaß verstehe ich etwas anderes.
Glück hingegen ist geschmeidig. Je größer das Glück, desto weicher ist es auch.
Wie Seidenhandschuhe auf einem Samtpyjama. Wie Kissen voller Gänsedaunen auf einem Bett im Ritz.
Aber selbst diese Vergleiche treffen es nicht einmal annähernd. Das weicheste Glück jedenfalls ist unbeschreiblich. Ich glaube, dass selbst die Götter auf dem Olymp nichts hatten, das sich daran messen ließe. Mit Ausnahme von Aphrodite vielleicht. Ich wette, dass sie sich ziemlich genau so wie das weicheste verfügbare Glück angefühlt hat.
Als ich mich nun im Huntington Park im hoch gelegenen Stadtteil Nob Hill auf eine Bank setze, kreuzt eine Frau mit weißem Tanktop meinen Weg. Das lange blonde Haar fließt über ihre bloßen Schultern. Sie ist zwar keine Aphrodite, und niemand würde Nob Hill mit dem Olymp verwechseln, aber ich befinde mich hoch genug über dem Nebel, so dass die Augustsonne alles hell erstrahlen lässt.
Um mich herum auf der Wiese rekeln sich mehrere Frauen in Bikinis mit Laptops und iPods, während zwei Schwule mit nackten Oberkörpern – der eine groß und schwarz, der andere klein und weiß – die Beschaffenheit ihrer Waschbrettbäuche vergleichen. Auf der Bank rechts von mir liest eine Frau mittleren Alters in einem Taschenbuch – einer dieser Romane um diese verrückte kleine Hackerin, Verdammnis oder so –, während eine junge Mutter mit ihrem Kind um den Springbrunnen herum Fangen spielt.
Ich schaue der jungen Mutter zu und denke an Mandy. Ich denke daran, was ich tun kann, um sie aus der Sache rauszuhalten. Ob ich sie warnen sollte. Ob sie sauer wäre, in meine Angelegenheiten hineingezogen worden zu sein.
Wir waren nicht immer so.
Nach dem Tod unserer Mutter standen Mandy und ich uns ziemlich nahe. Sie war damals elf, doch obwohl sie zwei Jahre älter war als ich, hatte ich bereits mehr Erfahrung als Glückswilderer. Mandy kam da eher nach unserer Mutter. Auch sie war der Ansicht, dass es falsch war, anderen etwas wegzunehmen, das ihnen gehörte – es
Weitere Kostenlose Bücher