Pechvogel: Roman (German Edition)
Freund einen Stuhl.«
Derselbe alte Mann, der mich im Huntington Park betäubt hat. Anscheinend verstehen er und ich etwas anderes unter Freundschaft.
Ich weiß noch immer nicht, wo ich bin, doch es scheint, als wäre ich noch in der Stadt. Irgendwo in Chinatown. Außerdem scheint die Tür mit dem Vorhang der einzige Weg nach draußen zu sein – sofern ich nicht das Fenster nehmen möchte, versteht sich. Aber daran ist mir nicht gelegen.
Eine junge Chinesin in weißem Hemd und schwarzen Hosen erscheint in dem Durchgang und trägt einen Stuhl zu den vier Männern, die unbeirrt weiter Mah-Jongg spielen. Sie verbeugt sich vor dem alten Mann und zieht sich dann wieder hinter den Vorhang zurück.
Vielleicht liegt es nur an dem Kater von den Drogen, aber die Asiatin kommt mir irgendwie bekannt vor.
»Fühlen Sie sich besser?«, fragt der alte Mann und schaut immer noch nicht von seinem Spiel auf.
»Ich könnte was zu trinken vertragen«, erwidere ich und setze mich.
»Mei!«
Sekunden später taucht Mei mit einem Tablett, einer Teekanne und fünf Tassen auf.
Ich hatte eher an so was wie Whiskey gedacht. Oder vielleicht an ein Gläschen Tequila mit Salz und Zitrone. Ich würde sogar nach einer Margarita fragen, aber damit würde ich mein Glück vermutlich überstrapazieren.
»Oolong-Tee«, erklärt mein Gastgeber, als Mei die Tassen auf einen Tisch in der Nähe stellt und einschenkt. Sie sieht nicht hoch, stellt keinerlei Blickkontakt zu mir her, aber irgendwas an ihr lässt mich glauben, dass wir einander schon einmal begegnet sind. Ich bin ziemlich sicher, dass es nicht bei Starbucks oder Peet’s war, denn dann würde sie mir den Tee wohl ins Gesicht kippen.
Nachdem sie nun mit dem Eingießen fertig ist, verlässt sie schweigend den Raum. Doch ehe sie geht, erhasche ich einen Blick auf ein blaues Bikinioberteil unter dem weißen Hemd und erkenne in ihr die heiße junge Frau aus dem Huntington Park wieder.
Ich schnappe mir eine Tasse Tee und atme den Duft tief ein, dann nehme ich einen Schluck des dampfenden Gebräus. Halb erwarte ich, dass wieder alles taub wird und ich ohnmächtig werde. Aber ich habe noch Gefühl in meinen Gliedmaßen, und das werte ich erst einmal als Pluspunkt.
Ich sehe mich im Raum um, dessen Interieur ganz im frühen Bruchbuden-Stil gehalten ist: Die schmutzig gelbe Farbe an den Wänden blättert ab, der Dielenboden ist abgenutzt und strotzt von Wasserflecken. Vor dem einzigen Fenster baumelt eine reichlich mitgenommene Jalousie, und neben einem Riss in der Decke summt eine nackte Neonröhre. Das einzige Dekor stellt eine Glückskatze aus Keramik mit erhobener linker Pfote dar, die auf einem kleinen Regal neben dem Vorhang steht.
»Wissen Sie«, sage ich nach einem weiteren Schluck Tee, »bei jemandem, der angeblich so viel Glück gekauft hat, hätte ich mit einer anderen Art der Unterbringung gerechnet. Etwas weniger in Richtung … Crack-Junkie-Puff vielleicht.«
»Sie hätten die Einladung meiner Männer annehmen sollen«, entgegnet der alte Mann. »Wir hätten Dim Sum im Yank-Sing-Restaurant essen können.«
Endlich schaut Tommy Wong auf und lächelt, und da wird mir klar, dass er deutlich jünger ist als gedacht. Und dass mein Rucksack fehlt. Und außerdem das Kästchen mit dem Pech, das Barry Manilow mir gegeben hat.
»Was ist mit meinem Kästchen passiert?«
»Es ist an einem sicheren Ort«, antwortet Tommy. »Zumindest, bis ich es benutze.«
»Was wann der Fall sein wird?«
»Spielt das eine Rolle? Sie sind kein Samariter. Sie haben Ihre eigenen Probleme, um die Sie sich kümmern müssen.«
Einer der anderen drei Chinesen hebt eines der abgeworfenen Mah-Jongg-Steinchen auf, was seinem Nachbarn zur Linken einen zornigen Ausruf entlockt.
»D’iu ne lo mo!«
Klingt nicht, als würde er seinem Partner ein Kompliment für sein Geschick im Spiel machen.
»Also gut«, sage ich. »Woher wussten Sie, wer ich bin? Oder dass ich im Huntington Park sein würde?«
»In meinem Geschäft zahlt es sich aus, zu wissen, wer wer ist.« Tommy nippt an seinem Tee. »Und ich bin sicher, dass Ihnen mittlerweile klargeworden ist, dass Sie und ich gemeinsame Interessen haben.«
»Die Philanthropie?«
Tommy lacht und wirft dann einen Spielstein auf den Tisch, der dem alten Mann ihm gegenüber ein »Aayah!« entlockt. »Und um die Frage Ihren Aufenthaltsort betreffend zu beantworten: Es ist leicht, jemanden zu finden, dessen Ziel man kennt.«
Tommy schenkt seinen Spielpartnern den
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