Pechvogel: Roman (German Edition)
Mandy und ihre Familie zu beschützen. Andererseits gibt es jedoch keine Garantie dafür, dass alles so klappen würde, wie ich es mir erhoffe. Und selbst wenn alles nach Plan verliefe, müsste ich noch immer mit der Schande meiner Tat leben. Ganz zu schweigen von der Schwierigkeit, dass ich Jimmy überhaupt erst einmal nahe genug kommen müsste, um seine Hand schütteln oder zumindest packen zu können. Von einem akuten Dilemma zu sprechen wäre demnach verfrüht. Dennoch ist es verführerisch, darüber nachzudenken, wie es wohl wäre, wenn es mir gelänge, Jimmy sein Reines Glück zu stehlen: Ich bekäme eine halbe Million von Tommy, würde all meine Probleme lösen und dann glücklich bis ans Ende meiner Tage mit dieser persönlichen Schande leben.
Wenigstens wäre ich gesund.
Jetzt hingegen wildere ich Glück mit der Liste eines machthungrigen Mafia-Soziopathen und werde dabei chauffiert von einem militanten Veganer-Weichei mit Überlegenheitskomplex.
»Hey, wussten Sie, dass Schweine in Massentierhaltungsbetrieben in engen Käfigen gehalten werden und aus Langeweile verrückt werden?«, fragt Alex. »Schweine sind sehr gesellig, liebevoll und intelligent, und sie müssen ihr ganzes Leben auf so geringem Raum verbringen, dass sie sich nicht einmal umdrehen können.«
»Warum spielen wir nicht ›Wer schweigt, gewinnt‹?«, sage ich. »Sie hören auf zu reden, und ich schreie Sie nicht an, dass Sie die Klappe halten sollen. Wie klingt das für Sie?«
Er wirft mir im Rückspiegel einen kurzen Blick zu und starrt dann schmollend nach vorn.
Was gäbe ich jetzt nicht für ein Sandwich mit Schweinefleisch vom Grill und Bacon-Beilage …
Lecker.
Wir fahren durch Pacific Heights, vorbei am Lafayette Park und Spreckels Mansion, dem Wohnsitz der Liebesroman-Autorin Danielle Steele. Ich habe mal versucht, ihr Glück zu stehlen, aber außerhalb ihres Hauses trägt sie fast immer Handschuhe.
Ich weiß nicht, ob das eine Frage der Mode ist oder ob sie an die reißerischen Geschichten über Glückswilderer glaubt, aber ich habe definitiv den Eindruck, dass heutzutage mehr Leute Handschuhe tragen als früher. Vor allem Filmstars und berühmte Sportler, gelegentlich auch Berufspolitiker. Die normalen Leute allerdings nicht. Selbst wenn sie die Geschichten über uns glauben, machen sie sich nicht die Mühe, die nötigen Vorkehrungen zu treffen. Schließlich glauben die Leute auch an Erdbeben, Epidemien und Geschlechtskrankheiten und sorgen trotzdem nicht vor.
Der Grund dafür ist klar: Wenn es um Katastrophen, Tragödien und die eigene Gesundheit geht, glauben die meisten Leute, dass etwas, das passieren könnte, ihnen sicherlich nie passieren wird. Das liegt in der Natur des Menschen. Sie schützen sich nicht. Sie rechnen nie ernsthaft mit dem Schlimmsten.
Sie lassen sich nicht impfen. Benutzen beim Sex keine Kondome. Haben weder Wasser- noch Lebensmittelvorräte für den Notfall parat.
Zu erwarten, dass jeder Handschuhe trägt, um sich vor Glücksdieben zu schützen, ist also in etwa so realistisch wie die Vorstellung, dass jeder Kondome verwendet.
Das Fiasko bei meiner Schwester und die Begegnung mit Jimmy haben meine Laune gedrückt. Um mich etwas aufzuheitern, ändere ich jetzt die Reihenfolge der Opfer auf der Liste. Statt mir das Beste für den Schluss aufzuheben, beschließe ich, mir einen kleinen Stimmungsaufheller zu gönnen.
Donna Baker ist neununddreißig Jahre alt und lebt in einem in zwei Blautönen gehaltenen viktorianischen Haus am Broadway Nummer 2470, direkt zwischen der Steiner und der Pierce Street und somit im Herzen von Pacific Heights. Laut Tommys Liste ist bei ihr weiches Glück höchster Güte zu holen.
Und das ist auch schon alles, was ich über Donna Baker weiß.
Ich habe keine Ahnung, aufgrund welcher Eigenschaften sie für diese Art von Glück steht, und ich kenne ihren Lebenslauf nicht. Weder über ihre persönlichen noch ihre gesundheitlichen oder ihre sexuellen Hintergründe weiß ich Bescheid. Ist sie liberal oder konservativ? Religiös oder spirituell? Vegetarierin oder Fleischfresserin?
All diese Dinge spielen eine Rolle. Nicht so sehr von einem philosophischen, sondern eher von einem physiologischen Standpunkt aus betrachtet. Die Haltung zu Politik, Religion und Ernährung hat einen bedeutenden Einfluss auf körperliche und geistige Gesundheit einer Person und damit auch auf ihr Glück. Bei konservativen Republikanern etwa ist das Glück mit selbstgerechter Scheinheiligkeit
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