Pechvogel: Roman (German Edition)
schon hier lebt, aber ich muss gestehen, dass er dem Ort seinen persönlichen Stempel aufgedrückt hat. Gemälde mit Vögeln und Blüten darauf. Kunstdrucke mit Goldfischen und chinesischer Kalligraphie. Blumentöpfe mit Bambus darin und Skulpturen von ineinander verknoteten Drachen und Vasen mit weißen Kranichen drauf. Alles Symbole von Reichtum und Glück.
Anscheinend will Tommy kein Risiko eingehen.
Da wir gerade von Risiken sprechen: Ich habe keine Ahnung, wie ich das Pech in eine verabreichbare Form bringen und Tommy damit infizieren soll, aber ich bin daran gewöhnt, Probleme so zu lösen, wie es Indiana Jones mit Nazis und religiösen Artefakten tut.
Ich entscheide das spontan.
Auch wenn meine Möglichkeiten recht eingeschränkt sind. Ich habe keine Nadeln und Spritzen zur Hand, und im Gegensatz zu Glück kann man Pech nicht mit Speisen oder Getränken mischen, ohne dass es riecht, gerinnt oder verbrennt. Außerdem bezweifle ich, dass es mir gelingen wird, nahe genug an Tommy heranzukommen, um seinen Drink damit zu versetzen – oder ihm gar eine Nadel in den Arm zu rammen. Was mir nur eine Option lässt.
Gestohlenes Glück kann durch Essen, Trinken oder Injizieren aufgenommen werden. Es kann jedoch auch durch die Haut absorbiert werden. Wie eine Salbe oder eine Creme. Das wirkt nicht so schnell wie bei der oralen Aufnahme oder Injektion, und man braucht mehr von der Ware, um die gleichen Ergebnisse zu erzielen, aber es wirkt trotzdem.
Zumindest bei Glück ist das so. Ich habe keine Ahnung, was passiert, wenn man Pech auf die Haut bekommt.
Die Idee ist nicht gerade ein Volltreffer, aber sie ist meine einzige Chance.
Das Problem dabei ist nur, dass ich nah genug herankommen muss, um die zwei Unzen Pech aus der Glasphiole auf Tommys Haut zu verteilen. Und er ist nicht gerade der Typ, der auf Körperkontakt steht. Außerdem scheint er immer einen seiner Schläger oder ein paar heiße Doppelagentinnen um sich zu haben.
Es sei denn, ich schaffe es, das Pech in etwas Größeres zu transferieren, mit dem ich Tommy dann bewerfen kann.
Vielleicht könnte ich ein Glas mit Leitungswasser füllen, das Pech hineinkippen und es Tommy ins Gesicht schleudern, wenn er auftaucht. Aber der einzige Behälter, den ich habe, ist der Becher von Peet’s. Wenn sich Pech durch Plastik frisst, hat ein bereits benutzter Pappbecher aus Recyclingpapier vermutlich keine großen Überlebenschancen.
Oder ich könnte den gemahlenen Kaffee benutzen, um das Pech aufzusaugen, und ihn als eine Art Dämmung einsetzen. Aber ich bin mir nicht sicher, wie viel Zeit mir das erkaufen würde, und abgesehen davon besteht so die Chance, dass ich selbst etwas von dem Pech abbekomme. Auch zwei Arten weiches Glück höchster Güte in meinem Körper reichen nicht aus, um vor einer Infektion sicher zu sein. Wenn es irgendeinen Zweck hätte, würde ich jetzt um Hilfe rufen.
Dringend gesucht: eine zündende Idee.
Noch immer hoffe ich auf einen Zauberer, der mich hier herausholt, als die Tür der Suite sich schließlich öffnet.
»Entschuldigen Sie, dass Sie warten mussten.«
Ich drehe mich zu Tommy um. Er trägt schwarze Hosen, eine rote Hausjacke und ein selbstgefälliges Grinsen im Gesicht. Es ist diese Art von Ausdruck, die man für gewöhnlich bei den Bösewichten in James-Bond-Filmen sieht, wenn diese glauben, sie hätten eine Situation zu ihren Gunsten manipuliert und ihren Gegner endlich da, wo sie ihn von Anfang an haben wollten.
Was bei ihm in Bezug auf mich auch ziemlich den Nagel auf den Kopf trifft.
Auf dem Flur hinter Tommy lauert ein weiterer Schläger, so ein grober Gorilla mit Kurzhaarfrisur, der aussieht, als hätte er eine saure Gurke im Arsch.
»Was habe ich hier verloren?«, frage ich und hoffe, dass ich selbstsicherer klinge, als ich mich fühle.
»Das ist mein Zuhause«, erwidert Tommy und breitet die Arme wie ein großzügiger Gastgeber aus. »Gefällt es Ihnen?«
»Sie leben in einer Suite im Drake? Ich muss gestehen, dass ich mit etwas Ausgefallenerem gerechnet hätte.«
»Nicht nur in dieser Suite. In der gesamten Etage. Jedes Zimmer gehört mir. Ich habe meine eigenen Angestellten. Niemand hat Zugang zu dieser Etage – es sei denn, ich gestatte es.«
»Oh«, sage ich.
»Ausgefallen genug?«
Ich hasse es, wenn man mir derart unmissverständlich meinen Platz in der Gesellschaft vor Augen führt. Mein Vater hat mir das ständig angetan. Noch ein Grund für mich, Tommy zu verabscheuen.
»Warum also bin ich
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