Pedro Juan Gutiérrez
Wenn ich ihn verkaufte, konnte ich zwanzig Pesos verdienen. Schöne Scheiße, aber besser als gar nichts. Also gut. Ich nahm den Eimer und ging auf die Straße. Es regnete. In Tampa war ein Sturm losgebrochen. Ich begriff nur nicht, warum es hier so regnete, wo er doch so weit entfernt war. Jedenfalls wollte ich lieber nass werden, als einfach nur im Haus rumzusitzen. Der Typ mit den Eimern hatte mich fast taub gehämmert. Dann waren da noch eine Frau, die ihre schwarzen Bälger entlauste, alle zehn, und eine andere, die dauernd hysterisch schrie, weil bei Regen immer Stücke von der Decke und den Wänden abbröckelten, und die alle Santos anflehte, das Gebäude vor dem Einsturz zu bewahren. Ohne dass es mir recht klar wurde, ging ich mit meinem Eimer zum Haus von Arturo, einem alten Mystiker, Rosenkreuzer, Yogi und Maler von primitiven Bildern, der sich von Früchten und Bienenhonig ernährt und kosmisches Prana absorbiert.
»Karma ist alles, was wir brauchen. Deine Unaus-geglichenheit beginnt und endet in dir selbst. Du musst Ordnung schaffen, meditieren, dein Karma ins Gleichgewicht bringen.«
Immer empfiehlt er mir dasselbe, aber ich habe keine Zeit für solchen Quatsch. Ich muss was zu essen auftreiben. Wenn ich vom Karma leben wollte, würde ich verhungern. Außerdem konnte diese Schlampe jederzeit in ein Flugzeug steigen - und Ciao. Bis ich davon erfuhr, war sie längst in Europa ausgestiegen. Also musste ich Schritt für Schritt vorgehen, sonst verhungerte ich. Irgendwann würde ich schon noch die Zeit finden, mein Karma und den ganzen Kram zu ordnen.
Arturo hat jetzt ein Verhältnis mit einer zwanzigjährigen Schauspielerin. Er muss um die fünfundsechzig sein. Die Kleine gefällt mir. Aber nichts da, sie ist dem Alten völlig ergeben. Ich habe keine Ahnung, was er mit ihr anstellt, aber sie ist ihm völlig verfallen. Er malt sie nackt. Arturo besitzt ein winziges Häuschen in der Nähe und lebt ganz gut, der alte Kaiman, weil er seine Bilder für Dollar an Touristen verkauft.
Er warf nur einen kurzen Blick durch den Türspalt. Wahrscheinlich war er nackt. Er will keinen Eimer. »Ich kann ihn dir dalassen, und du bezahlst ihn mir morgen, Arturo.«
»Nein, ich brauche keinen. Danke.«
»Vielleicht braucht ein Nachbar von dir einen?«
»Weiß ich nicht, keine Ahnung.«
»Na, dann gib Acht auf dich, Alter.«
»Das tue ich, ciao.«
Der Hirt lässt den Wolf seinen Schafen nie zu nahe kommen. Ich ging weiter, spazierte mit meinem Eimer langsam von Tür zu Tür, und manchmal hielt ich ihn einfach hoch. »Einmalige Gelegenheit, der hier ist nicht aus Plastik. Hält ein Leben lang. Ganz speziell, wie es ihn heute eigentlich gar nicht mehr gibt. Er ist aus echtem Eisen, hält ein Leben lang.«
Hier und da fragte mal jemand nach dem Preis. Um mich hochzunehmen. Meine Antwort wartete man fast gar nicht ab, sondern ging einfach weiter.
Ich ging Galiano hinunter Richtung Malecón. Das Meer wurde immer wilder. Ein starker Wind blies. Sollte der Sturm zurückgekehrt sein? Ich ging dorthin, wo ich Jahre zuvor einmal gewohnt hatte, stieg hinauf aufs Dach und klingelte.
Vielleicht kaufte mir die alte Hortensia den Eimer ab. Ich war vom Regen bis auf die Haut durchnässt. Aber das war mir egal. Ich bin gerne nass bis auf die Haut, inmitten von Sturm und Wind.
Hortensia war ihr Leben lang Polizistin gewesen. Hauptmann bei der Staatssicherheit. Vor Jahren wurde sie pensioniert. Vor kurzem war sie Witwe geworden und lebte jetzt in Angst.
Seit ihr Mann tot war, verwahrloste sie zusehends. Sie hatte kein Geld, kein Essen, kein Wasser, keine Seife. Die Familie unterstützte sie nicht. Sie war allein und halb verrückt. Permanent hatte sie das Gefühl, alle seien gegen sie. Selbst plattgetretener als eine Schabe war sie weiterhin autoritär und herrisch, darum mied sogar ihre Tochter sie. Als ich noch neben Hortensia wohnte, hatte ihre Tochter mir einmal gesagt:
»Ich kann sie nicht ertragen, lass mich wissen, wenn sie stirbt.«
Erst glaubte ich wirklich, sie sei eine Drecksschlampe. Später dann nicht mehr. Später verstand ich sie. »Seit du hier weg bist, ist es kein Leben mehr auf dem Dach. Ein einziger Albtraum.«
»Warum denn, Hortensia? Sie müssen alle Kräfte zusammen-nehmen und weitermachen. Es spielt keine Rolle, ob Lucio tot ist.«
»O doch, mein Sohn, es spielt eine Rolle. Er war mein einziger Halt. Und ich hab ihn nur angezeigt und wollte mich sogar scheiden lassen. Jetzt haben sich alle von mir
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