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Peehs Liebe

Peehs Liebe

Titel: Peehs Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Scheuer
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deshalb gemerkt. Ich glaube, die Bauern betrachteten mich nicht wirklich als geheilt. Vielleicht nahmen sie sogar an, mein voriger Zustand sei für alle, auch für mich, besser gewesen. Jedenfalls musste ich nach einiger Zeit nicht mehr zu den Kunden ins Haus, sondern wartete, nachdem ich die Werbekarten verteilt hatte, wieder wie früher im Auto. Ich hörte im Radio Musik und Nachrichten über dievielen Dinge, die in der Welt geschahen und die ich nicht verstand. Vincentini redete manchmal von Kathy und dem Archäologen, als ob er sicher wüsste, dass sie irgendwo im Orient bei ihm sei. Vielleicht war sie wirklich bei ihm, vielleicht gibt es einen Ort, an dem sich alle wiedertreffen, wo ich vielleicht auch Peeh wiedersehen werde. Meistens erzählte Vincentini jedoch vom Krieg, wie er als junger Mann eingezogen und zum Scharfschützen ausgebildet worden war, wie er mit Kameraden im Zug nach Warschau gesessen hatte, sie im Zug getrunken und fröhliche Lieder gesungen hatten. Als sie Mitte August in Warschau ankamen, war der Kampf um die Stadt entbrannt. Vincentini wurde einem SS-Verband zugeteilt. Es hatte seit Wochen nicht geregnet. Sie lagen in einem Innenhof der Altstadt, verschanzten sich hinter Sandsäcken, vegetierten ungewaschen, stinkend und schmutzig wie Tiere dahin. Überall roch es nach verwesenden Leichen, die sie bis zu den Fenstern im zweiten Stock wie Holz aufeinanderstapelten, mit Benzin übergossen, anzündeten und verbrannten. Vincentini erschoss Aufständische, auch ein kleines Mädchen, das in der Schusslinie stand; einem beinlosen Jungen auf Krücken steckte er eine gezündete Handgranate in die Jackentasche. Als die Russen kamen, floh er mit seiner Einheit nach Westen. Im Schnee folgten die Russen ihren Spuren. Mit Teilen seiner Einheit rannte er auf einen zugefrorenen See, auf den die russischen Panzer ihnen nicht folgen konnten. Vincentini klagte wie Hyperion:
wirhaben geplündert, gemordet, ohne Unterschied, auch unsre Brüder sind erschlagen oder irrten hülflos herum und ihre tote Jammermiene ruft immer noch Himmel und Erde zur Rache gegen die Barbaren.
Vincentini erzählte mir das alles, weil er meinte, ich würde es nicht verstehen, dachte, es erleichtere ihn, wenn er jemandem davon erzählte. Ich war mir nicht sicher, ob er wirklich bedauerte, was er getan hatte. Mir aber war es lieber, wenn er aus dem «Hyperion» zitierte, von seinem Perseus redete oder auf die Weißkittel schimpfte. Einmal, als wir durch die Gegend fuhren und er einen Moment Ruhe gab, hörte ich Peeh im Radio. Sie war inzwischen eine vielversprechende junge Pianistin geworden, die mehrere Wettbewerbe gewonnen hatte. Ich sah Peeh am Klavier sitzen und spielen, dann stand sie auf und lief über eine Wiese. Ich wünschte mir so sehr, sie noch einmal zu treffen.
    Während unserer Fahrten verkauften wir drei oder vier Perseusgeräte und verdienten gut. Nachts schliefen wir in kleinen Hotels oder Pensionen, in denen wir uns ein Zimmer teilten. Vincentini war abends meist bei einer seiner Patientinnen. Danach saß er an der Theke der Gaststätte und fabulierte über den Perseus. Wenn er nach oben kam, war er betrunken und qualmte eine Zigarre. Er zog sich polternd aus, setzte sich auf die Bettkante und behandelte sich selbst mit dem Perseus, indem er seine nackten Füße auf einen Plastikkasten mit dünnen Kontaktstiften stellte, die er an den Perseus angeschlossen hatte. Seine Füße standen wie die eines Fakirsauf einem Nagelbrett. Er regelte den Strom höher, bis es irgendwann schien, als würde sein behaarter, massiger Körper in der Dunkelheit glimmen.
    â€¦
    Annie fuhr gerade zum Wochenenddienst, als Lambertz mit seinem klapprigen Auto von der Risahöhe kam. Er besuchte Rosarius in letzter Zeit immer morgens, wenn Annie dienstfrei hatte. Rosarius war nach seinen Besuchen aufgeregt und durcheinander, er flüsterte wirres Zeug, summte und memorierte Straßennamen, immer nur Straßennamen, wobei es schien, als würden alle seine Erinnerungen zu feinem Staub zerbröckeln. Annie setzte sich zu ihm, nahm seine zitternden Hände, versuchte ihn zu beruhigen, schob ihn im Rollstuhl in den Gemeinschaftsraum, wo er vom Fenster aus die Truthähne beobachten konnte. Er sah diesen Vögeln gerne zu, murmelte, es seien Boten aus der Unterwelt.
    Annie musste ihre Arbeit erledigen, erst gegen Abend, wenn alle Bewohner in ihren Betten

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