Peinlich peinlich Prinzessin
ich mich dadurch wirklich wohler. Weil … ganz ehrlich, wenn ich verrückt bin, dann ist mein Vater es auch. Ich meine, man muss sich nur mal anschauen, wie viele Paar Schuhe er besitzt. Dabei ist er ein Mann.
Also gab ihm die Sprechstundenhilfe ebenfalls einen Zettel zum Ausfüllen. Als ich mir meinen durchlas, merkte ich, dass es eine Liste von Aussagen war, die man bewerten sollte, indem man eine von fünf Antworten ankreuzte, die am besten auf einen passte. Eine Aussage lautete zum Beispiel: Ich habe das Gefühl, dass mein Leben sinnlos ist . Und dann konnte man ankreuzen:
ständig
meistens
manchmal
selten
nie
Weil ich nichts anderes zu tun hatte und sowieso schon einen Stift in der Hand hielt, füllte ich den Zettel aus. Als ich fertig war, fiel mir auf, dass ich bei fast allen Aussagen ständig oder meistens angekreuzt hatte. Bei Ich habe das Gefühl, dass niemand mich mag hatte ich zum Beispiel meistens angekreuzt und bei Ich fühle mich wertlos auch meistens . Mein Vater hatte dagegen fast überall selten und nie angekreuzt. Sogar bei der Aussage Ich habe das Gefühl, dass ich kein Glück in der Liebe finden werde.
Zufälligerweise weiß ich genau, dass das eine totale Lüge ist. Dad hat mir mal gesagt, dass es ihn noch immer unglücklich macht, nicht um Mom gekämpft zu haben. Sie sei nämlich seine einzige große Liebe gewesen. Deswegen hat er mich ja auch gedrängt, um Michael zu kämpfen. Weil er genau wusste, dass ich eine so große Liebe nie mehr finden würde.
Als ich gemerkt habe, wie recht er damit hat, war es leider schon zu spät.
Bei Ich habe das Gefühl, dass keiner mich mag hat er nie angekreuzt. Kunststück, kann ich da nur sagen. Es gibt ja auch keine Website, die ichhassefü rstphillipevongenovia.com heißt.
Die Sprechstundenhilfe nahm uns die Zettel ab und verschwand damit in einem angrenzenden Zimmer. Leider konnte ich von meinem Platz aus nicht sehen, was hinter der Tür lag. Lars hatte auf dem Couchtisch eine aktuelle Ausgabe des Sports Illustrated entdeckt und blätterte so entspannt darin, als würde er jeden Tag Prinzessinnen in Schlafanzügen in psychotherapeutische Praxen tragen.
Dabei stand das bestimmt nicht im Berufsprofil, als er sich an der Bodyguardschule angemeldet hat.
»Ich glaube, du wirst Dr. G. Stöhrt mögen, Mia«, hat mein Vater gerade zu mir gesagt. »Ich habe ihn letztes Jahr auf einer Spendengala kennengelernt. Er ist einer der führenden Spezialisten des Landes für Kinder- und Jugendpsychologie.« Ich zeigte auf die Urkunden an der Wand. »Ja, hab ich mir schon gedacht.«
»Er soll wirklich sehr gut sein«, sagte mein Vater. »Lass dich von seinem Namen - oder von seinem Auftreten - nicht irritieren.«
Sein Auftreten? Was meint er denn jetzt damit?
Die Sprechstundenhilfe ist gerade zurückgekommen. Sie hat gesagt, dass wir jetzt zu ihm reinkönnen.
Na toll.
Donnerstag, 16. September, 14 Uhr, in Dads Limousine
Puh. Das war echt voll komisch.
Dr. G. Stöhrt war … na ja, jedenfalls anders, als ich ihn mir vorgestellt hatte.
Ich kann nicht genau sagen, wie ich ihn mir vorgestellt hatte, auf jeden Fall nicht so. Ich weiß schon, dass Dad gesagt hat, ich soll mich von seinem Namen und seinem Auftreten nicht irritieren lassen, aber …
Dem Namen und Beruf nach hatte ich einen kleinen, alten, glatzköpfigen Mann mit Ziegenbärtchen und Brille erwartet, vielleicht einen, der mit deutschem Akzent spricht.
Okay, alt ist er wirklich. Ungefähr so alt wie Grandmère. Aber er ist nicht klein. Und er hat keine Glatze. Und auch kein Ziegenbärtchen. Und keinen deutschen Akzent. Im Gegenteil. Er hat sich angehört wie John Wayne - wie ein Cowboy aus einem Western. Ich weiß auch wieso. Er hat mir erzählt, dass er die meiste Zeit des Jahres auf einer Ranch in Montana lebt, wenn er nicht gerade in seiner Praxis in New York Patienten therapiert.
Um es ganz klar zu sagen: Dr. G. Stöhrt ist ein Cowboy. Ein Cowboy-Psychotherapeut!
Typisch, dass ich von allen Therapeuten in ganz New York ausgerechnet bei einem Cowboy lande!
Sein Behandlungszimmer ist original so eingerichtet wie ein Zimmer auf seiner Ranch. Die Wände sind mit Holz getäfelt und überall hängen Ölbilder von wilden Mustangs
herum. Und in den Bücherregalen hinter ihm stehen Romane von berühmten Western-Autoren wie Louis L’amour oder Zane Grey. Wir saßen auf speckigen dunklen Ledersesseln, die mit Messingnieten verziert waren. An einem Haken hinter der Tür hing sogar ein Cowboyhut.
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