Peinlich peinlich Prinzessin
Und auf dem Boden lag ein Navajo-Teppich. Als ich das sah, war mir klar, dass Dr. G. Stöhrt seinem Namen wirklich alle Ehre macht. Und dass er viel gestörter ist als ich.
Das Ganze konnte nur ein Witz sein, da war ich mir sicher. Dad konnte es nicht ernst gemeint haben, als er behauptet hatte, Dr. G. Stöhrt wäre ein führender Experte für Kinder-und Jugendpsychologie. Wahrscheinlich war irgendwo eine Kamera versteckt, und gleich würde Ashton Kutcher aus einem Schrank springen und rufen: »Reingelegt! Prinzessin Mia, du bist bei ›Punk’d‹ auf Sendung. Der Kerl ist überhaupt kein Psychotherapeut! Das ist mein Onkel Joe!«
»Howdie!«, begrüßte uns Dr. G. Stöhrt mit seiner tiefen Cowboystimme, nachdem wir uns auf das Ledersofa gesetzt hatten. »Du bist also Prinzessin Mia, ja? Freut mich, dich kennenzulernen. Ich hab gehört, gestern warst du ausnahmsweise mal richtig nett zu deiner Großmutter.«
Ich war total geschockt. Im Gegensatz zu Dr. G. Stöhrts anderen Patienten, die wahrscheinlich Kinder sind, kenne ich zufälligerweise zwei Psychoanalytiker persönlich, nämlich die beiden Dr. Moscovitz. Deshalb weiß ich genau, wie so eine therapeutische Sitzung zwischen Arzt und Patient ablaufen muss.
Normalerweise beginnt sie jedenfalls nicht damit, dass der Therapeut einem irgendwelche Dinge unterstellt, die überhaupt nicht stimmen.
»Das ist eine bösartige Verleumdung«, wehrte ich mich. »Ich war nicht nett zu ihr. Ich hab bloß gesagt, was sie hören wollte, damit sie weggeht.«
»Ach so«, sagte Dr. G. Stöhrt. »Na, das ist natürlich ganz
was anderes. Bei dir läuft also alles supi-dupi, ja? Keine Probleme?«
»Offensichtlich läuft nicht alles supi-dupi «, sagte ich. »Sonst würde ich ja wohl kaum im Schlafanzug und mit meiner Decke in Ihrer Praxis sitzen.«
»Weißt du was?«, sagte Dr. G. Stöhrt. »Das ist mir auch schon aufgefallen. Aber ihr jungen Dinger zieht ja gerne mal was Ausgefallenes an. Hätte ja auch sein können, dass es gerade in Mode ist, so rumzulaufen.«
Hallo? Mir war sofort klar, dass das mit uns beiden niemals klappen würde. Wie sollte ich meine innersten Gefühle einem Menschen anvertrauen, der mich und meine Altersgenossinnen als »junge Dinger« bezeichnet und allen Ernstes glaubt, wir würden freiwillig in Hello-Kitty-Schlafanzügen und in Bettdecken gewickelt rumlaufen?
»Das wird nichts«, sagte ich zu Dad und stand auf. »Komm, wir gehen.«
»Moment noch, Mia«, sagte Dad. »Wir sind gerade erst gekommen. Gib ihm doch eine Chance.«
»Dad!« Ich fasste es nicht. Ich meine, wenn meine Eltern schon der Meinung sind, dass ich zu einem Therapeuten muss, wieso haben sie mir dann nicht einen richtigen Therapeuten gesucht und keinen Cowboy ? »Lass uns gehen. Und zwar bevor der Typ mir ein Brandzeichen macht.«
»Hast du etwas gegen Viehzüchter?», fragte Dr. G. Stöhrt. »In Anbetracht der Tatsache, dass ich Vegetarierin bin«, sagte ich und verschwieg ihm, dass ich seit einer Woche keine mehr bin, »muss ich Ihnen leider sagen: Ja. Ja, hab ich.«
»Du scheinst mir ja ein ziemlicher Heißsporn zu sein«, sagte Dr. G. Stöhrt. »Ich meine, dafür dass dir angeblich«, er tippte mit dem Zeigefinger auf den Zettel, den ich im Wartezimmer ausgefüllt hatte, »die meiste Zeit alles ziemlich egal ist.«
Ich ließ mich wieder auf die Couch zurücksinken, weil mir
klar wurde, dass dieses Gespräch doch etwas länger dauern würde. »Hören Sie, Dr. … ähem …« Ich brachte es nicht über mich, seinen Namen auszusprechen! »Vielleicht sollte ich Ihnen sagen, dass ich mich seit einigen Jahren intensiv mit der Lehre von Dr. C. G. Jung beschäftige. Ich versuche schon seit einigen Jahren, den Zustand der Selbstaktualisierung zu erreichen. Ich kenne mich in der Psychologie aus. Zufälligerweise weiß ich ganz genau, was mit mir los ist.«
»Ach ja?« Dr. G. Stöhrt sah mich interessiert an. »Dann klär mich mal auf.«
»Ich bin zurzeit bloß ein bisschen erschöpft. Das ist eine ganz normale Reaktion auf das, was mir letzte Woche passiert ist.«
»Ah ja.« Dr. G. Stöhrt warf einen Blick in seine Unterlagen. »Du hast mit deinem Freund Schluss gemacht - Michael. So hieß er doch, oder?«
»Ja«, sagte ich. »Na ja. Vielleicht ist die Sache bei uns etwas komplizierter als bei anderen Jugendlichen, die miteinander Schluss machen. Ich bin ja eine Prinzessin und Michael ein Genie. Und er ist der Meinung, dass er nach Japan gehen muss, um dort einen Roboterarm zu
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