Peinlich peinlich Prinzessin
kennenlernen«, sagte Dr. G. Stöhrt. »Anscheinend spielt sie eine wichtige Rolle in deinem Leben, und es wäre sicher interessant, die Dynamik zwischen euch zu beobachten. Aber du hast in dem Fragebogen an keiner Stelle erkennen lassen, dass du selbstmordgefährdet bist. Bei der Frage, ob du je daran gedacht hast, dich umzubringen, hast du nie angekreuzt.«
»Kann sein«, murrte ich. »Aber doch nur deswegen, weil ich aus dem Bett aufstehen müsste, um mich umzubringen.«
Dr. G. Stöhrt lächelte. »Nein, Mia. Ich glaube wirklich nicht, dass Medikamente in deinem Fall das Richtige wären.«
»Bitte! Ich brauche irgendein Mittel, um den Tag zu überstehen«, flehte ich ihn an. »Ehrlich. Nehmen Sie es nicht persönlich, aber Sie haben keine Ahnung, wie es heutzutage auf einer Highschool so zugeht. Das meine ich ganz ernst. Da kann man wirklich Angst bekommen.«
»Weißt du, was Eleanor Roosevelt - eine sehr kluge Frau, wie niemand bestreiten wird - einmal gesagt hat?«, fragte Dr. G. Stöhrt mich. »Man sollte jeden Tag etwas tun, wovor man Angst hat.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das ist doch Quatsch. Also echt. Wieso sollte man freiwillig etwas machen, wovor man Angst hat?«
»Dass wir uns unseren Ängsten stellen«, sagte Dr. G. Stöhrt, »ist die einzige Möglichkeit, die wir Menschen haben, um zu wachsen. Natürlich gibt es eine Menge Dinge, die einem Angst machen: zum Beispiel Fahrradfahren zu lernen, zum ersten Mal mit einem Flugzeug zu fliegen oder wieder zur Schule zu gehen, nachdem man sich von seinem Freund getrennt hat und ein Foto mit dem Exfreund der besten Freundin in einer großen Tageszeitung erschienen ist. Aber wenn du keine Risiken eingehst, bleibst du immer die, die du bist. Du entwickelst dich nie weiter. Glaubst du etwa, dass du so
aus dem Loch wieder herauskommst, in das du gefallen bist? Meinst du nicht, dass du da nur wieder rauskommst, indem du etwas änderst?«
Ich holte tief Luft. Der Doc hatte recht. Ich wusste, dass er recht hatte. Es war nur … na ja, es würde verdammt schwierig werden.
Aber okay. Michael hat ja auch gesagt, dass wir beide erwachsen werden müssen.
»Was kann dir denn schlimmstenfalls passieren?«, fragte Dr. G. Stöhrt. »Du hast einen Bodyguard. Und es ist ja auch nicht so, als hättest du keine anderen Freunde außer Lilly. Was ist denn zum Beispiel mit dieser Tina, von der mir deine Mutter erzählt hat?«
Tina? Die hatte ich ganz vergessen. Komisch, dass einem so was passieren kann, wenn man in einem Loch sitzt. Man vergisst sogar die Leute, die alles tun würden, um einem aus diesem Loch rauszuhelfen.
»Stimmt«, sagte ich und spürte zum ersten Mal seit langer Zeit einen winzigen Funken Hoffnung in mir aufblitzen. »Tina ist ja auch noch da.«
»Na also«, sagte Dr. G. Stöhrt. »Siehst du? Und wer weiß«, fügte er mit einem Grinsen hinzu. »Vielleicht macht es dir ja sogar Spaß!«
Okay, jetzt ist klar, dass er seinen Namen echt zu Recht trägt. Der Mann ist noch gestörter als ich.
Und das sagt jemand, der seit fast einer Woche im selben Hello-Kitty-Schlafanzug rumläuft.
Donnerstag, 16. September, 18 Uhr, zu Hause
Als wir aus Dr. G. Stöhrts Praxis kamen, fragte Dad mich, was ich von ihm hielt. »Wenn du nicht mit ihm klarkommst, können wir dir einen anderen Therapeuten suchen. Zwar sind alle - auch deine Schulleiterin - der Meinung, dass er der beste Jugendpsychologe der Stadt ist, aber …«
»IHR HABT ES MRS GUPTA ERZÄHLT?«, brüllte ich.
Dad sah nicht so aus, als fände er es sonderlich toll, dass ich so rumschreie.
»Mia«, sagte er streng. »Du warst seit vier Tagen nicht mehr in der Schule. Hast du etwa wirklich geglaubt, das würde niemandem auffallen?«
»Ihr hättet ihr sagen können, dass ich Bronchitis hab!«, brüllte ich. »Ihr hättet ihr doch nicht sagen müssen, dass ich eine Depression hab!«
»Wir haben niemandem gesagt, dass du eine Depression hast«, erklärte Dad. »Deine Schulleiterin hat zu Hause angerufen, um zu fragen, weshalb du nicht in die Schule kommst.«
»Toll!«, rief ich und warf mich wütend gegen das Lederpolster der Rückbank. »Jetzt weiß es also die ganze Schule!«
»Nur wenn du es jemandem sagst«, meinte Dad. »Dr. Gupta hat natürlich mit keinem Menschen darüber gesprochen. Dazu ist sie viel zu professionell. Das weißt du genau, Mia.«
So ungern ich es auch zugebe, Dad hat recht. Mrs Gupta ist
vieles - unter anderem ein despotischer Kontrollfreak -, aber sie würde niemals das
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