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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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ein Hüne von Mann trat heraus. Er war von Kopf bis Fuß in schwarzes Leder gekleidet, von den hohen Stiefeln über die eng anliegende Hose bis zu seinem Hemd, dessen weiter Ausschnitt eine dicht behaarte Brust zeigte. In der Leiste trug er ein aufgesetztes, vorstehendes Ledersäckchen, wie man es auf manchen Gemälden des sechzehnten Jahrhunderts sehen kann. Eine Braguette oder Schamkapsel nannte man dieses absurde Attribut der mittelalterlichen Kleidung, erinnerte sich Berditschewski. Bloß dass dieses Exemplar hier geradezu beängstigende Ausmaße hatte.
    Kescha sprang leichtfüßig aus der Kutsche und reckte sich genüsslich wie eine Katze.
    »Wer is’n der da?«, fragte Foma und zeigte auf Matwej Benzionowitsch.
    »Ein Gast, den ich mitgebracht habe. Ich werde ihn Seiner Erlaucht selber melden. Entlassen Sie Semjon«, wandte sich der junge Mann an den Staatsanwalt. »Für die Rückfahrt wird der Graf seine eigene Equipage zur Verfügung stellen.«
    Als Berditschewski den Kutscher bezahlte, zögerte dieser einen Moment, als wollte er ihm etwas sagen, aber dann schien er es sich doch anders zu überlegen. Er grunzte nur, zog sich die Mütze tief ins Gesicht und machte, dass er fortkam.
    Der Staatsrat sandte dem Phaethon einen wehmütigen Blick nach. Dieses Schloss Schwarzeneck missfiel ihm ganz entschieden, trotz Elektrizität und Briefkasten.
    Dann gingen sie durch das Tor.
    Berditschewski versuchte gar nicht erst, sich Hof und umliegende Gebäude im Einzelnen anzusehen, aus dem einfachen Grund, weil es nun einmal schwierig ist, sich im Dunkeln mit der Betrachtung architektonischer Details zu befassen. Er konnte nur undeutlich allerlei Verschnörkeltes erkennen, irgendwelche Türmchen und Zinnchen, mit bizarren Greifen auf den Wasserabläufen. Vor dem Hintergrund des Sternenhimmels hoben sich die Silhouetten steinerner Chimären ab. Im Hauptgebäude brannte elektrisches Licht: trübe hinter den zugezogenen Vorhängen im Parterre, grell im ersten Stock.
    Am Eingang des Hauses wurden die Ankömmlinge von einem zweiten Diener, den Kescha mit Filip anredete, in Empfang genommen. Er war auf ganz genau die gleiche Art gekleidet wie Foma, woraus sich schließen ließ, dass es sich dabei wohl um die spezielle gräfliche Livree handelte. Wiederum fielen die beeindruckenden Ausmaße der Schamkapsel auf. Ob die wohl mit Watte ausgestopft waren?, überlegte der Staatsanwalt mit einem verstohlenen Blick. Dann erst begriff der naive Mensch, dass diese Hengste von Seiner Erlaucht nicht nur als Hausangestellte gebraucht wurden.
    Filip ging in seiner knarzenden schwarzen Lederkluft vor den Gästen her und führte sie über eine von steinernen Ritterstandbildern gesäumte Marmortreppe in ein geräumiges, geschmackvoll eingerichtetes Zimmer im ersten Stock. Dort verbeugte er sich knapp und ließ die beiden allein.
    Der junge Mann deutete mit dem Kopf auf eine hohe Tür, die anscheinend in die Privatgemächer des Grafen führte.
    »Ich werde Sie dem Grafen melden. Nehmen Sie solange hier im Empfangszimmer Platz.«
    Kescha schien auf einmal nervös. Er rückte vor einem Spiegel umständlich seine Krawatte zurecht, glättete seine Coiffure, und plötzlich zog er ein Porzellanröhrchen hervor und bemalte sich damit geschickt die Lippen. Berditschewski blinzelte verdutzt.
    Kaum war der Blonde im Nebenzimmer verschwunden, sprang der Staatsrat von seinem Sessel auf und schlich auf Zehenspitzen zu der Tür. Behutsam legte er das Ohr an das Holz und lauschte.
    Er erkannte Keschas hurtigen Tenor, verstand aber nicht, was er sagte.
    Eine zweite Stimme, die unnatürlich gepresst klang, als hätte sie jemand mit einer Luftpumpe aufgeblasen, fragte:
    »Tatsächlich?«
    Wieder eine undeutliche Sprechsalve.
    »Wie bitte, wer? Berg-Ditschewski?«
    Und Keschas Antwort: tirim-tirim-tirim.
    »Na gut, schauen wir ihn uns mal an.«
    Mit drei lautlosen Sätzen war Matwej Benzionowitsch wieder bei seinem Sessel, ließ sich hineinfallen und schlug lässig ein Bein über das andere.
    Und erstarrte – in der Tür, die zur Treppe führte, stand Filip. Die kräftigen, bis zum Ellenbogen nackten Arme über der Brust verschränkt, sah er den Gast mit undurchdringlichem Gesichtsausdruck an.
    Verdammt! Nicht nur, dass er nichts Brauchbares gehört hatte, jetzt hatte er sich auch noch vor diesem Lakaien bloßgestellt!
    Der Staatsanwalt spürte, wie sein Gesicht rot anlief, aber er hatte keine Zeit mehr zu reagieren.
    Die Tür des Salons ging auf, und der Hausherr

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