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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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erschien.
    Berditschewski erblickte einen eleganten Herrn mit sehr heller Haut und sehr schwarzen Haaren. Der nach oben gezwirbelte Schnurrbart sah von weitem aus wie ein dicker Kohlestrich, der das Gesicht in zwei Hälften teilte. Tja, wenn da mal nicht die infernalische Sissi im Spiel war, dachte der in moderner Haarfärbetechnik inzwischen erfahrene Staatsrat.
    Tscharnokuzki trug einen schwarzen, mit einem silbernen Drachen bestickten Kimono und dazu ein chinesisches Seidenmützchen mit Quaste. Darunter leuchtete ein weißes Hemd mit Spitzenkragen hervor. Das unbewegte Gesicht des Magnaten wirkte alterslos, keine einzige Falte war darin zu sehen. Lediglich das verblichene Blau der Augen deutete darauf hin, dass ihr Besitzer dem Abend des Lebens näher war als seinem Morgen. Allerdings war der Blick Seiner Erlaucht keineswegs abgeklärt, sondern scharf und forschend, wie bei einem wissbegierigen Jüngling. Ein gealtertes Kind, dachte Matwej Benzionowitsch im Stillen.
    »Willkommen in meinem Haus, Herr Berg-Ditschewski«, sagte der Graf mit jener Gummistimme, die dem Staatsanwalt schon bekannt war. »Entschuldigen Sie bitte meinen unpassenden Aufzug, ich habe so spät keine Gäste mehr erwartet. Ich bekomme sehr selten unangekündigten Besuch. Aber ich weiß, dass mir Innocent nicht einen x-beliebigen Menschen mitbringen würde.«
    Matwej Benzionowitsch brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass Kescha gemeint war, dass der Graf Innokentis Namen einfach französisch aussprach – Innocent, der Unschuldige.
    Tscharnokuzkis Nasenflügel bebten ganz leicht, als unterdrücke er ein Gähnen. Jetzt war auch klar, warum seine Stimme so unnatürlich klang: Der Graf bewegte beim Sprechen die Lippen fast gar nicht und unterdrückte jede Mimik – vermutlich, um Falten zu vermeiden. Das Beben der Nasenflügel ersetzte ihm zweifellos das Lächeln.
    Auf die Frage, ob er ein Verwandter des Feldmarschalls Berg sei, antwortete der Staatsrat ausweichend: nur ein sehr entfernter.
    »Natürlich, einem Polen gegenüber sollte man das eigentlich lieber nicht erwähnen . . . [Nüsternbeben.] Aber als überzeugter Kosmopolit bin ich in der Hinsicht ganz leidenschaftslos.«
    Diese Bemerkung rief Matwej Benzionowitsch zum einen in Erinnerung, wer dieser Feldmarschall von Berg war – nämlich ein Widersacher Polens zur Zeit von Nikolai Pawlowitsch und Alexander dem Zweiten –, zum anderen erkannte er, dass der Hausherr den zurückhaltenden Ton seiner Antwort missverstanden hatte – Gott sei Dank.
    »Was ist denn, Filip?«, fragte der Graf an den Diener gewandt, der sich ihm mit einer Verbeugung näherte und ihm etwas ins Ohr flüsterte.
    Jetzt verpetzt er mich, dieser Miesling.
    Tscharnokuzkis Brauen hoben sich vorsichtig, und in seinen Augen, die auf den Staatsanwalt gerichtet waren, glomm ein amüsierter Funken auf.
    »Also, ein Adelsmarschall sind Sie? Aus dem Gouvernement Sawolshsk?«
    »Was ist daran so witzig?« Matwej Benzionowitsch runzelte die Stirn – Angriff ist die beste Verteidigung. »Sie meinen wohl, in so einem Provinznest gäbe es keinen Adel?«
    Der Graf flüsterte Filip noch ein paar Worte zu und gab ihm einen zärtlichen Klaps auf den Schenkel, woraufhin der gemeine Lakai sich endlich entfernte.
    »Nein, nein, ich habe mich über etwas anderes erheitert.« Der Hausherr sah seinen Gast offen, geradezu ungeniert an. »Ich finde es amüsant, dass Bronek Razewitschs Liebling ein Adliger ist. Dieser Schelm weiß wirklich, wie man sich durchschlawinert. Erzählen Sie mir doch, wie Sie ihn kennen gelernt haben.«
    Auf diese Frage hatte Berditschewski sich unterwegs schon eine Antwort zurechtgelegt.
    »Sie kennen doch Bronek«, sagte er und lächelte gutmütig. »Er ist ein rechter Lausebengel, und da ist er bei uns in eine ziemlich dumme Geschichte hineingeraten. Er wollte einer Nonne einen kleinen Schreck einjagen, nur so zum Spaß, aber er hat es ein wenig zu weit getrieben. Kurz, die Sache kam vor Gericht. Als Zugereister, der in der Stadt keinen Menschen kannte, wandte er sich an den Adelsmarschall mit der Bitte, ihm bei der Suche nach einem Anwalt behilflich zu sein . . . Selbstverständlich habe ich ihm geholfen – unter Adligen . . .«
    Matwej Benzionowitsch schwieg beredt – den weiteren Gang der Ereignisse können Sie sich selber vorstellen.
    Auf dem Gesicht des Grafen erschien wieder das Lächeln, das wie Gähnen aussah.
    »Ja, an der Geistlichkeit hatte er schon immer einen Narren gefressen. Weißt du noch,

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