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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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dieser Mensch, wer immer er auch war, sein Werk vollendet«, versuchte die Schwester, Manuila und seine armselige Herde in Schutz zu nehmen. »Das Wort hat den Propheten überlebt, so wie es sich gehört. Manuila ist nicht mehr, doch die ›Findelkinder‹ kommen nicht von ihrem Wege ab. Woher haben sie eigentlich diesen seltsamen Namen?«
    »Sie sagen, Manuila habe sie unter den Menschen ›gefunden‹«, erklärte Dolinin. »Er habe sie aus dem Schmutz und der Gosse aufgelesen, in weißes Leinen gehüllt und ihnen ein blaues Band geschenkt, als Zeichen für das kommende Himmelsreich. Sie haben da eine ganze, allerdings reichlich primitiv konstruierte Philosophie, irgendwelche zusammengestückelten Teile aus dem Alten Testament, zudem abstrus interpretiert. Christus und das Neue Testament lehnen sie ab, weil sie Juden sein wollen. Wie gesagt, das alles ist höchst nebulös und verworren. Soweit ich weiß, hat sich Manuila nicht allzu sehr um seine frisch gebackenen ›Juden‹ gekümmert. Er verdreht irgendeiner schlichten Seele den Kopf und geht seiner Wege, und diese armen Schlucker zermartern sich ihr kümmerliches Hirn, was sie jetzt mit ihrem Leben anfangen sollen. Insofern haben Sie wohl Recht, Manuilas Tod ändert für sie wenig . . .« Das Gesicht des Untersuchungsführers verdüsterte sich. »Tja, Schwester, so ist das heutzutage, die Seelenfänger haben Saison, ihre Zahl wird immer größer und größer und ihre Ernte immer reicher. Erinnern Sie sich, wie es bei Matthäus heißt? ›Viele falsche Propheten werden auf stehen und werden viele verführen.‹«
    »›Und weil die Gesetzlosigkeit überhand nimmt, wird die Liebe der vielen erkalten‹«, führte Pelagia die Worte des Apostels fort.
    Dolinin erschauderte und sah die Nonne ganz sonderbar an, so als hörte er diese Worte zum ersten Male oder als hätte er noch nie über sie nachgedacht.
    »Lassen wir die Liebe dem Herrgott«, sagte er mürrisch. »Retten wir lieber die armen Seelen vor den Häschern.«
    »Ohne Liebe?«, wollte Pelagia fragen, aber sie schwieg, es schien ihr nicht der rechte Zeitpunkt für abstrakte Diskussionen. Doch sie dachte bei sich, dass es mit der Liebe im Leben des Reformators der polizeilichen Ermittlungsarbeit offenbar nicht zum Besten stand. Ob er wohl verheiratet war?
    Laut sprach sie jedoch von etwas anderem.
    »War es nicht leichtsinnig, alle gehen zu lassen?«
    »Ach, die sollen ruhig weiterschippern. An der nächsten Anlegestelle gehen mehrere Agenten der Kriminalpolizei an Bord der ›Stör‹. Ich habe das telegrafisch veranlasst. Es ist nicht auszuschließen, dass dieser Ostrolyshenski doch noch aus irgendeiner Ritze hervorgekrochen kommt. Ein Dampfer ist schließlich keine Abstellkammer, irgendein Winkel entgeht einem immer. Und falls sich unsere Theorie als Irrtum herausstellt, und Herr Glasauge hat mit der Sache überhaupt nichts zu tun . . .«
    »Was soll das heißen – ›nichts damit zu tun‹«, fuhr Pelagia entrüstet auf. »Und warum ist er dann verschwunden?«
    »Nun, es wäre durchaus denkbar, dass er ebenfalls ermordet und dann über Bord geworfen wurde. Möglicherweise hat er etwas gesehen, was er nicht sehen sollte. So was kommt ziemlich häufig vor . . . Also, wenn nicht Ostrolyshenski der Mörder ist, sondern jemand anders, dann wird dieses Subjekt sich in Sicherheit wiegen, nachdem ich den Dampfer verlassen habe, und seine Wachsamkeit wird nachlassen. Die Agenten sind instruiert, vor allem solche Passagiere im Auge zu behalten, die vor ihrem gebuchten Reiseziel von Bord gehen. Darüber hinaus natürlich überhaupt alles, was irgendwie verdächtig ist. Bis Zarizyn ist es noch eine weite Strecke; wenn der Mörder auf dem Dampfer ist, haben wir genug Zeit, ihn zu verhaften.«
    Pelagia, von dem Weitblick des Untersuchungsführers beeindruckt, verstummte.
    »Und inzwischen unternehme ich eine kleine Spazierfahrt nach Stroganowka und wieder zurück«, fuhr Sergej Sergejewitsch fort. »Ich werde überprüfen, wer dieser Scheluchin tatsächlich ist, und ganz nebenbei lässt sich vielleicht irgendwo das Ende des Fadens finden.«
    Und plötzlich, vollkommen übergangslos und ohne auch nur eine Sekunde zu stocken, sagte er in genau demselben, sachlichen Ton:
    »Ich habe eine Bitte an Sie, liebe Schwester. Es wird Ihnen vielleicht etwas seltsam Vorkommen, vielleicht sogar befremdlich, aber aus irgendeinem Grund glaube ich doch, dass Sie mir die Kühnheit verzeihen werden, und wenn mir das Glück hold ist,

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