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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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sollte ich machen? Als ich mich aus dem Teufelsstein befreit hatte und zurück nach Stroganowka kam, erfuhr ich dort, dass Dummka nicht zum Viehaustrieb erschienen war, und da war ich natürlich vollkommen außer mir. Ich bin zum Dorfältesten gelaufen und habe gesagt, dass man sie suchen müsse. Er hat keine Leute, sagt er mir da. Die sind alle bei der Arbeit, und außerdem ist es nicht weiter schade um sie – es ist ja bloß die Dummka, halb so schlimm. Ich bin dann auf demselben Weg zum Teufelsstein zurückgelaufen. Natürlich hatte ich Angst, aber ich habe mir gedacht: Warum soll der Verbrecher dort auf mich warten? Er ist doch schließlich überzeugt davon, sein Werk vollbracht zu haben. Ich kam also an den Teufelsstein und sah mich dort gründlich um. Auf dem Rückweg achtete ich nur auf den Boden, und unterhalb des Abhangs fand ich dann die Spuren: eine Schleifspur, mehrere dunkle Flecken und den Abdruck eines Stiefels. Die Dorfbewohner tragen keine Stiefel, nur Bastschuhe, ich habe mich später im Dorf eigens danach erkundigt. In ganz Stroganowka gibt es nur ein einziges Paar Stiefel, und die gehören dem Dorfältesten. Er zieht sie nur an den höchsten Feiertagen an, oder wenn er in die Stadt fährt. Aber sie haben eine ganz andere Sohle.«
    »Ja, die Sohle ist in der Tat ungewöhnlich«, nickte Berditschewski. »Und das, erlaube ich mir zu bemerken, ist unser einziger Anhaltspunkt. Die Mütze mit dem Wolfsschwanz ist kein Indiz, solche Dinger stellen die Sytjaken schon seit Hunderten von Jahren her. Man kann sie für fünf Rubel auch bei uns in Sawolshsk auf dem Markt kaufen. Aber diese Stiefel sind was ganz anderes. Die Sohlen sind hochinteressant, wenn ich so sagen darf, sie weisen ein sehr spezielles Nagelmuster auf. Ich habe in meinem Amt eine Besprechung anberaumt, unter Hinzuziehung der besten Polizeibeamten und Ermittler des Bezirks. Hier, bitte sehr.« Er zog ein Notizbuch hervor und las: »Spitze eckig und stumpf. Beschlagen mit vierundzwanzig Nägeln, angeordnet in drei doppelreihigen Rhomben, Rand zehn Millimeter breit. Absatz quadratisch, mittelgroß. Folgerung: keine Fabrikware, sondern die hoch qualitative Arbeit eines Meisters, der seine eigene Handschrift hat. Das ist gut, denn es gibt uns einen Anhaltspunkt für die Suche«, erklärte der Staatsanwalt. »Weniger gut hingegen ist, dass es in unserem Gouvernement keinen solchen Meister gibt. Welche, äh, Schlussfolgerungen können wir demnach aus diesem Abdruck ziehen? Bringen wir die Formel de Parvilles zur Anwendung, der bekanntlich festgestellt hat, dass die Körpergröße eines Menschen das Produkt aus dem Faktor 6,876 mal der Länge seines Fußes ist, so ergibt sich, unter Berücksichtigung einer Differenz von vier, fünf Millimetern zwischen Fuß – und Schuhsohlenlänge, eine Größe des gesuchten Subjektes zwi-sehen 1,78 und 1,84 m, das heißt also, er muss ziemlich groß sein.«
    »Wie viel ist das in unseren Maßeinheiten?«, fragte der Bischof und machte ein mäkliges Gesicht, weil er die neumodische Art, alles in Meter umzurechnen, missbilligte. »Na gut, in Gottes Namen, dann halt Zentimeter. Sag mir lieber, Matwej, was hältst du von der ganzen Sache?«
    Berditschewski hatte tatsächlich eine Theorie, wenn auch eine noch ziemlich vage.
    »Der Täter – ich will ihn mit den Worten Seiner Eminenz den ›Wolfsschwanz‹ nennen – hat Schwester Pelagia verfolgt, seit sie in Sawolshsk den Dampfer verlassen hat. Von der für-wahr allzu nahe liegenden Vermutung, bei dem Wolfsschwanz und dem Glasauge handele es sich um ein und dieselbe Person, möchte ich aufgrund des vollständigen Mangels an Beweisen vorläufig noch Abstand nehmen. Jedoch unterliegt es nach unserer bisherigen Erkenntnis keinerlei Zweifel, dass der Grund für diese unerfreuliche Anhänglichkeit des fraglichen Missetäters an unsere hochgeschätzte Schwester im Zusammenhang mit der Ermordung des vermeintlichen Propheten Manuila gesucht werden muss, allzumal. . .«
    »Matwej«, unterbrach ihn der Bischof. »Sprich bitte nicht so gestelzt, du bist hier nicht vor Gericht.«
    Der Staatsanwalt verlor einen Moment lang den Faden, aber nur für ein halbes Minütchen.
    »Eigentlich bin ich schon davon überzeugt, dass wir es mit Glasauge zu tun haben«, sagte er dann ganz ohne Schnörkel. »Er hat irgendwie herausgefunden, dass Pelagia den Verdacht auf ihn gelenkt hat, und wollte mit ihr abrechnen. Wenn es sich aber so verhält, dann ist dieser Mensch psychisch nicht

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