Pelbar 2 Die Enden des Kreises
bin Ahroe Dahmen aus Pelbarigan, und das ist mein Sohn Garet.« Sie hob das Baby hoch. Garet hing schläfrig in ihren Händen, runzelte die Stirn und blinzelte.
Die Männer verstummten und schienen verblüfft.
»Dein Sohn?« fragte ein älterer. »Bringst du ihn hierher zu uns? Noch ein Baby?«
»Nein. Ich bin auf der Durchreise. Ich nehme ihn mit.«
»He, nimm lieber mich mit, da hast du wenigstens was davon«, sagte der fetteste, kratzte sich den Bauch und tätschelte ihn dann. Die anderen sahen ihn jedoch schweigend an, und da wurde er kleinlauter.
Die Männer warfen sich betretene Blicke zu.
»Ich fürchte, ich habe euch gestört«, sagte Ahroe.
»Ich muß gehen. Es tut mir leid.«
»Muß nicht sein, daß du gehst, Frau«, grinste ein junger Mann.
»Seht ihr die Jungen da bei der Hütte?« fragte Ahroe.
»Hütte? Das ist unser Haus. Ja, was ist mit ihnen?«
»Ihr solltet sie waschen. Nicht nur jetzt. Jeden Tag.«
»Hört sich wirklich an wie eine Frau.«
»Na gut, Frau. Wir werden sie waschen. Nur weil du es so willst. Und dann kommst du, und wir waschen dich.«
Rabes Peitsche schnellte vor und erwischte den Mann, der das gesagt hatte, an der Schulter. Er heulte auf und rannte davon. Die anderen wichen zurück.
Ahroe wandte sich ihr mit finsterer Miene zu. »Es tut mir leid. Ich glaube, wir sollten jetzt gehen«, sagte sie.
»Welcher war wie dein Mann?«
»Keiner. Die hier werden in finsterster Unwissenheit gehalten.«
»Sie haben alle Möglichkeiten, sich weiterzubilden, die sie sich wünschen können. Aber sie tun nichts anderes als das, was du gesehen hast.«
Ahroe half Ambi über die breite Leiter herunter.
Die alte Frau fingerte noch immer an der Schachtel herum. Sie sah Ahroe an, und als ihre Augen sich be-gegneten, spürten beide eine Spannung weichen, eine Verbindung entstehen. Ambi ging schweigend weiter. Als sie sich dem Gebäude näherten, sagte sie zu Ahroe: »Komm jetzt bitte in mein Zimmer. Ich möchte mit dir sprechen.«
Als sie beieinander waren, sagte sie: »Was denkst du?«
»Sie sind nicht so wie die Männer, die ich gut kenne, aber ein bißchen gleichen sie einigen Männern, die ich gesehen habe. Die hier sind sehr unterentwik-kelt. Die Jestana, unsere Protektorin, sagte einmal, daß Männer ihr ganzes Leben lang Knaben sind, Frauen dagegen von klein auf schon Frauen.«
Die Leiterin nickte.
»Aber dann fügte die Protektorin hinzu: ›Ich glaube, wenn wir länger Mädchen wären, würden wir einiges sehen, was nützlich ist – das Spiel des Geistes, das freie, spielerische Denken.‹ Aber ich weiß nicht.
Je mehr Gesellschaften ich kennenlerne, desto weniger kann ich sagen, was naturgegeben ist und was Sache der Gewohnheit. Die Shumai-Frauen werden Ar-beitstiere, sobald sie heiraten, aber sie kennen jeden Stern am Himmel und spielen manchmal fast die ganze Nacht ihre Sternenspiele mit den Männern. Ich bin jedoch überzeugt, daß bei Geschlechtern, die zu-sammenarbeiten, der gegenseitige Austausch eine Fruchtbarkeit bedingt, die man sonst nirgendwo findet. Es tut mir leid, wenn ich dich gekränkt habe.«
Die Leiterin runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht, was ich von deinem Kommen halten soll. Ich mache mir schon seit langer Zeit Sorgen. Wir haben nie etwas anderes kennengelernt als das hier. Und du siehst, wie die Männer sind. Ich fürchte, wir stecken in einem unproduktiven System fest, aber du darfst niemandem erzählen, daß ich das gesagt habe. Ich fürchte, ich muß bald abdanken. Es gibt eine Stimmung zugunsten von Rabe. Sie hält schlicht und ausschließlich an unseren Glaubenssätzen fest.«
»Wo sind die anderen Männer?«
»Es gibt nicht mehr. Sie kümmern sich wenig um die Kleinen, deshalb sterben viele.«
Lange Zeit schwiegen die beiden. Dann sagte Ahroe: »Empfinden die Mütter denn nichts für ihre Söhne?«
Die Leiterin schüttelte den Kopf. »Wenn ein männliches Kind geboren wird, können sie es nicht erwarten, bis die erste Stillperiode zu Ende ist und sie es loswerden können. Sie hassen diese Kinder. Ich hatte selbst zwei Söhne. Für den ersten hatte ich dieses Ge-fühl, daher kenne ich es gut. Er starb als kleiner Junge. Der andere ist erwachsen geworden. Du hast ihn im Lager gesehen. Ich werde dir nicht sagen, welcher es war. Ich schäme mich, daß zwischen ihm und mir eine Verbindung besteht, fühle mich aber auch ein wenig schuldig. Ich habe mich oft gefragt, ob es vielleicht anders hätte sein können. Du sagst mir wirklich die
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