Pelbar 2 Die Enden des Kreises
Pendlern wußte man jedoch nie. Sie waren ein erbärmlicher Haufen von unpraktischen Leuten, die ohne Religion oder anständige Führung unstet umherzogen, aber sie steckten auch voller Überraschungen und waren in die Gelehrsamkeit verliebt – natürlich völlig falsche Vorstellungen, die auf dem Gedanken eines gro-
ßen Brennens und Sterbens in der Vergangenheit gründeten, auf der Idee, daß es eine Zeit gab, in der Cull noch nicht existierte, andere Städte hingegen schon, während Ilage doch wußte, daß Cull die erste und auch ursprüngliche Stadt der Welt war, die gebraucht wurde, um die Sonne zu betreuen.
Ilage richtete seine Gedanken wieder auf die Sonne, die große Scheibe des Lebens, und diesmal betete und sang er aufrichtig für den Wohlstand und die Sicherheit der Ursprünglichen Stadt. Als er fertig war, fiel sein Blick auf das Flußufer. Da stand eine Frau, fremdartig gekleidet, in eine an der Taille zusam-mengehaltene, abgetragene Tunika gehüllt, die etwas auf dem Rücken trug.
»Aaahhhiiieee«, schrie Ilage. Boldar, der gerade Wasser heraufholte, lief herbei. »Ah, schau, die erste von den Pendlern. Nimm deinen Stab! Jag sie weg!«
»Ich finde, sie sieht nicht aus wie eine von den Pendlern. Sie ist nur eine junge Frau. Und sonderlich kräftig scheint sie auch nicht zu sein.«
»Aaahhhiiieee. Tu, was ich dir sage! Geh!« Ilage gab dem großen jungen Mann einen aufmunternden Stoß mit dem Fuß. Boldar zuckte die Achseln, nahm seinen Stab und trottete die Stufen hinunter auf den Fluß zu, während eine kleine Gruppe von Ursprünglichen auf die Mauer stieg, um zuzusehen. Ahroe wich nicht zurück, sondern schaute zu, wie Boldar, der sie um Kopf und Schultern überragte, sich ihr nä-
herte.
»Hau ab!« sagte Boldar. »Sonst kriegst du den Stock da zu spüren.«
»Versuch das nur einmal, dann schieße ich dir einen Pfeil in den Leib.«
Boldar blieb verdutzt stehen. »Los, schlag sie, schlag sie!« kreischte Ilage von oben. Boldar blinzelte hinauf und wandte sich dann wieder Ahroe zu.
»Ich werde gehen«, sagte sie, »aber komm mir nicht zu nahe!«
Boldar war völlig überrascht. Ilage kreischte immer noch von oben auf ihn herunter, aber er konnte an der Frau nichts Bedrohliches finden. Wer war sie? Sie machte einen höchst selbstbewußten Eindruck. Was trug sie denn da? Jetzt drehte sie sich langsam um.
Ein Baby war auf ihren Rücken geschnallt und blinzelte ins Licht.
»Boldar, du wehleidiger Feigling, schlag sie! Jag sie fort!« krächzte Ilage.
»Nein, das tust du nicht, Boldar«, ertönte eine Frauenstimme. »Wenn du dieses Baby schlägst, kriegst du von mir eins auf deinen dicken Schädel.«
Boldar blickte nach oben. Es war Mati, die die Kin-derstube der Pflanzer leitete.
Ahroe drehte sich um und lachte. »Jetzt hast du ein Problem, Boldar. Ich rate dir, auf sie zu hören. Keine Angst. Ich gehe schon.«
»Meinetwegen brauchst du nicht zu gehen. Ich kann nichts Schlimmes an dir finden.«
»Sie ist bestimmt verseucht. Sie ist eine Spionin der Pendler«, schrie Ilage.
Mati packte sein Tamburin und schlug ihn damit.
Ilage war entrüstet und starrte sie mit offenem Munde an. »Eine Spionin, die ihr Baby mitbringt? Hat dir die Sonne das Gehirn ausgedörrt, du alter Ziegen-bock? Schickt diesen Riesenstier hinter einer Frau mit einem Baby her. Jetzt halt das Maul, bevor ich dir das Klimperding hier reinstopfe.«
Ilage richtete sich auf, nahm sein Tamburin und ging langsam die gewundenen Treppen hinunter auf das bienenstockförmige Heiligtum zu. Er hielt sich ganz aufrecht und versuchte, ein ausdrucksloses Gesicht zu machen. Das war ein weiterer Angriff auf das Priestertum. Die Profanen von Cull mußten zur Ordnung gerufen werden.
Boldar lachte und wandte sich an Ahroe. »Warum kommst du nicht herein und läßt dir etwas zu essen geben? Ich glaube, das geht schon in Ordnung.«
»Ich bin nicht sicher, ob ich das möchte. Ich habe schon Erfahrungen mit dieser Art von Leuten gesammelt. Ich bin allein und muß vorsichtig sein.«
Boldar gab ihr den Stab. »Keine Angst. Mati und ich werden dich beschützen. Der Priester macht sich Sorgen wegen der Dürre. Er fürchtet, daß die Pendler kommen, um Wasser für ihre Herden zu holen. Hier ist die einzige Stelle, wo sie es kriegen können, wenn der Regen ausbleibt, und das war dieses Jahr der Fall.«
»Warum gebt ihr ihnen dann das Wasser nicht?«
»Wir bauen in dem Tal unsere Feldfrüchte an. Und wir können nicht für tausend Rinder Wasser
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