Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
überaus freundlichen Empfang vor
wenigen Tagen und Coras nächtlichem Besuch bei mir halte ich es nicht für
nötig, mich vorher anzumelden. Man wird mir wieder südafrikanischen Rooibostee
mit Vanillegeschmack anbieten. Und weil ich sehr hungrig ankomme, werde ich
diesmal meinen Zähnen und meinem leeren Bauch die kleinen Zementblöcke zumuten,
die mir als vegetarische Paté gereicht worden sind und die ich nach einem
kurzen Nageversuch auf dem selbst getöpferten Teller wieder abgelegt habe. Und
ich werde vielleicht erfahren, was Marcel gestern Nacht der Igelfrau so alles
erzählt hat.
Marcel – ich würde jetzt gern mit ihm reden, aber er hat Dienst, und
ich habe es mir zum Prinzip gemacht, ihn da nur in Notfällen anzurufen. Solche
hat es seit über einem Jahr nicht mehr gegeben.
Der Regen hat nachgelassen, und die verschiedenfarbigen
Wolkenschichten haben sich so weit erhoben, dass ich meinen Blick wieder über
die wohltuende Weite der Hügellandschaft schweifen lassen kann. Da im Tal liegt
das beschauliche Krewinkel. Bergab komme ich kaum ins Schwitzen. Nur einmal ins
Fluchen, als ein Auto mit ungeheurer Geschwindigkeit über die schadhafte Straße
brettert und aus einem Schlagloch einen schlammigen Gruß auf meine saubere
Jeans katapultiert. Als wäre die Formel-1-Rennstrecke in meiner Nachbarschaft
schon in Betrieb genommen worden.
In Krewinkel lasse ich den Abzweig nach Weckerath links liegen und
marschiere nach rechts über die Dorfstraße. Wenn ich nicht so hungrig wäre,
würde ich mir die niedliche kleine Kapelle auf der Stichstraße zur Linken
ansehen, in der Marcel getauft worden ist. Wie er mir erzählte, ist das Gebäude
inzwischen säkularisiert worden und wird als Kulturzentrum genutzt. Kultur
mitten in der Pampa?, hatte ich verwundert gefragt und einen bösen Blick
geerntet. Und erfahren, weshalb die Belgier eigentlich gar keine Regierung
brauchen. Wenn es nämlich nach der – damaligen – gegangen wäre, würde das
mittelalterliche, selbst für Krewinkel zu klein gewordene Gebäude jetzt
irgendwo in Südfrankreich stehen. Ein reicher Mensch hatte es nach dem von der
Regierung geplanten Abriss dort neu aufbauen wollen. Diesen Export haben die
empörten Einwohner einfach unterbunden. Schließlich hatte in dieser Kapelle
jeder irgendein Sakrament erhalten, die meisten das der Taufe, und da kann man
nicht einfach zusehen, wie ein Bagger alles niederreißt. Die Krewinkeler legten
also zusammen, restaurierten die Kapelle eigenhändig, gründeten die Vereinigung
»Kulturkapelle Krewinkel« und laden jetzt zu Kulturveranstaltungen ein.
Heute zu einer Autorenlesung über Die Beutefrau,
die letzte Liebe Karls des Großen , wie mich ein kleines Plakat an einer
Hauswand informiert. Da sollte ich eigentlich hingehen, um ein bisschen mehr
Historie zu tanken und mir gleich noch die Wandmalereien aus dem Mittelalter
anzusehen. Die seien bei der Restaurierung der Kapelle entdeckt worden, wie
auch ein Skelett aus jener Zeit, hatte Marcel stolz erklärt. Ich prunkte mit
meinem vor einem Jahr erworbenen Wissen, dass Karl der Große in oder bei Prüm
geboren wurde.
An das Perspektivenverständnis des Frühmittelalters erinnert auch
das Gemälde auf dem großen Tor, mit dem sich Victors Sekte von der Außenwelt
abschottet. Es zeigt einen Reigen bunt gekleideter Menschen vor einem grün
überwucherten Märchenschloss. Der blaue Himmel hat Schäfchenwolken und die
Sonne ein lachendes Gesicht. Wenn man den real existierenden Knauf am
seitlichen Eingang zu diesem Schloss dreht, stellt sich das bemalte blaue Tor
als ein wirkliches Türchen heraus, durch das man dieses Anwesen betritt. Cora
goss gerade die Herbstblumen vor dem Schlossgemälde, als ich zum ersten Mal
nach Krewinkel kam.
»Wie reizend!«, hatte ich mein Entsetzen vor dem überwältigenden
Kitsch maskiert, an dem ich nicht einfach kommentarlos vorbeimarschieren
konnte, als mich die Bewohnerin anlächelte und bat, den Wasserhahn an der Mauer
abzustellen.
»Geschmackssache«, hatte sie trocken bemerkt, »eine Fototapete hätte
es auch getan.«
»Wäre im Regen abgeblättert«, hatte ich geantwortet und sie dann
nach Marcels früherer Kneipe befragt.
»War vor meiner Zeit«, hatte sie bemerkt, »vielleicht kann dir
Victor weiterhelfen. Komm doch rein!«
Sie drehte den Knauf, ließ mich in den Hof vorangehen und zeigte mir
voller Begeisterung die dem Haus vorgelagerten Beete, auf denen alles Essbare
gedieh, was in dieser rauen Gegend im Freien eine
Weitere Kostenlose Bücher