Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
Überlebenschance hat. Die
Treibhäuser hinter dem riesigen Bruchsteinhaus werde sie mir später zeigen,
versicherte sie; erst solle ich ihre Mitbewohner kennenlernen.
Die bestanden aus Victor und den drei Grazien, wie ich die schmalen
hübschen Frauen mit den hüftlangen offenen Haaren insgeheim taufte. In ihren
wallenden asiatischen Batikkleidern schienen Bine, Bella und Gerti den Siebzigerjahren
entstiegen zu sein; mit ihrem Stoppelhaar und dem grauen Jogginganzug fiel Cora
daneben völlig aus dem Rahmen. Auch ihr Verhalten Victor gegenüber wies darauf
hin, dass sie in diesem Kreis eine Sonderstellung innehält. Während die drei
Grazien wie stumme Undinen um den Guru herumwogten und nur zum Lachen den Mund
öffneten, redete Cora munter drauflos. Und der vorn und hinten langhaarige
Victor, der die drei anderen mit lässigen Handbewegungen anwies und ansonsten
nahezu ignorierte, schien die ältere unattraktivere Frau regelrecht zu hofieren
und Wert auf ihre Meinung zu legen.
Auf meine bemüht beiläufige Frage, wie sie denn alle so
zusammengekommen seien, antwortete Victor: »Man hält uns hier für eine Sekte,
und so was Ähnliches sind wir wohl auch, da wir uns von der bürgerlichen
Gesellschaft abgespalten haben. Wir begnügen uns nicht mit Träumen von einem
besseren Leben, sondern wir führen es.«
»Und wie?«, fragte ich.
»Das ist die falsche Frage«, erwiderte er. »Die richtige wäre: Kann
ich das auch?«
»Ich bin mit meinem Leben ganz zufrieden«, versetzte ich. Was jetzt,
da ich wieder vor dem Schlossgemälde angekommen bin, weniger zutrifft als bei
meinem ersten Besuch.
Ich drehe am Knauf der blauen Tür, aber sie öffnet sich nicht. Nach
längerem Suchen entdecke ich einen Klingelknopf im Herzen einer Sonnenblume und
drücke darauf.
Lange Zeit passiert überhaupt nichts. Linus zieht an seiner Leine
und will weiter. Ich drücke noch einmal.
Schritte knirschen auf dem Kiesweg hinter dem riesigen Tor. Dann
öffnet sich ein Schlossfenster und umrahmt ein blasses Frauengesicht.
»Bine?«, frage ich unsicher.
Wie ein Automat dreht sich das Gesicht zweimal zur Seite, einmal
nach rechts, einmal nach links. Also falsch geraten.
Mein zweiter Versuch: »Guten Tag, Gerti.«
Das Gesicht bleibt in Position, aber der Mund öffnet sich nicht
einmal zum Lächeln.
»Ich möchte gern zu Cora«, sage ich.
Wieder sehe ich die rechte und die linke Seite der Nase.
»Oder zu Victor?«
Das Fensterchen klappt zu. Der Kies knirscht. Und mein Magen knurrt
fast so laut wie Linus, der genug von der Rumsteherei vor dem Märchenschloss
hat.
Schade, dass es in Krewinkel keine Kneipe mehr gibt, denke ich. Und
da erst fällt mir ein, dass ich bei meinem ersten – und der Abfuhr von soeben
nach zu urteilen – wahrscheinlich letzten Besuch bei der Sekte ganz vergessen
hatte, Victor nach Marcels früherer Wirkungsstätte zu befragen.
Der Rückweg quält mich; es scheint viel mehr bergauf zu gehen, als
es auf dem Hinweg bergab ging, sogar Linus, der solche Ausflüge nicht mehr
gewöhnt ist, beginnt zu japsen. Habe ich die Sektenleute etwa bei einem Ritual
gestört? Oder müssen sie wie Trappistenmönche an manchen Tagen Schweigegelübde
einhalten? Gerti hatte bei meinem ersten Besuch kein Wort gesagt, könnte sie
gehörlos sein? Aber warum die eklatante Unhöflichkeit?
Jedenfalls ist das Ganze sehr, sehr merkwürdig.
Und da es derzeit mehr Merkwürdigkeiten in meinem Leben gibt, als
ich mir wünsche, beschließe ich, Cora und ihre Krewinkeler Sippe zu vergessen
und mich keinen Träumen über ein besseres Leben, sondern über ein gutes Essen
hinzugeben.
Schon von Weitem sehe ich die Tür der Einkehr sperrangelweit offen stehen. Es gelingt mir nicht, meinen Schritt zu
beschleunigen, aber als ich die Straße nach Deutschland überquere, entdecke ich
einen Teil von Gudruns langem Rock auf der Beifahrerseite von Hans-Peters
Sportwagen. Ihr Oberkörper steckt im Wageninneren. Ein langes Kabel führt von
der Haustür zwischen ihren Beinen hindurch ins Auto, was dem braven Kleidungsstück
eine leicht obszöne Wirkung verleiht. Ich trete näher.
»Was machst du denn da?«
Vor Schreck stößt sich Gudrun den Kopf am Autodach, ehe sie sich
umwendet.
»Nach was sieht es denn aus?«, fragt sie und gibt den Blick auf den
kleinen Heizlüfter frei, der mich im Winter notdürftig gewärmt hat und jetzt
auf der Rückbank neben der Babyschaukel steht und auf höchster Stufe arbeitet.
Ich lache.
»Nach der gleichen heißen Luft,
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