Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
was
meinst du?«
Ich sage nicht, was ich meine. Dass Gudrun völlig verzweifelt auf
einen Anruf Hans-Peters wartet. Dass sie ihm derzeit in seinem leeren
Hotelzimmer am nächsten wäre und in demselben gleichzeitig auch noch ein bisschen
mehr über ihn herausfinden könnte.
»Dann fahr schon los! Und liefere den verdammten Tabak auch gleich
da ab.«
Ich werfe ihr die runde blaue Dose mit der Abbildung von
Sonnenaufgang und rotem Gockel – wie passend – zu. Sie fängt sie auf und legt
sie wieder auf die Anrichte.
»Er kommt bestimmt als Erstes hierher zurück. Und dann braucht er
etwas zur Beruhigung«, sagt sie und lässt mich mit dem Säugling allein.
Ich bin etwas ratlos. Soll ich jetzt die ganze Zeit neben dem
Wäschekorb sitzen, um sicherzugehen, dass das Baby nicht den plötzlichen
Kindstod erleidet?
Ich könnte natürlich noch ein paar Gerichte ausprobieren und hoffen,
dass dem Kind die jeweiligen Ausdünstungen nicht langfristig schaden. Aber der
Gedanke ans Kochen deprimiert mich. Ich sehe keine Chance, die Einkehr in wenigen Wochen rechtzeitig zur Wintersaison zu
eröffnen. Meinen Handwerker Jupp darf ich jetzt nicht mit banalen Fragen wie
der Einrichtung von geschlechtergetrennten Toiletten beschäftigen. Sein Lebensgefährte
Hein studiert derzeit im Internet viel morbidere juristische Seiten als jene,
die mit den Gastronomiebestimmungen zu tun haben; meine Kellnerin Gudrun
befindet sich im libidinösen Ausnahmezustand, und ich selbst bin all der Aufregung
müde.
Wo bleibt mein beschauliches Landleben?, frage ich mich, als ich
meinen Körper vom Küchenstuhl hochwuchte. Ich spüre jedes überflüssige Kilo.
Meine Gelenke ächzen.
Kaum taucht Hans-Peter auf, geht alles den Bach runter. Zum Beispiel
der gute Vorsatz, meinem Leib nur noch wirklich Hochwertiges zuzuführen. Ich
fresse wieder alles Greifbare in mich hinein, wie damals in Berlin, als ich vor
lauter Wartefrust die roten Bohnen, nur mit etwas bitterer Orangenmarmelade und
Schokosplittern versetzt gleich aus der Dose löffelte. Nun gut, in meinem Magen
ist die Avocado in etwa als das Püree angekommen, das ich servieren will.
Ich mag mich nicht mehr in der Küche aufhalten; mit mir oder ohne
mich wird das Kind diese quengligen Gesänge weiter aufführen, bis Gudrun mit
dem Verdauungsvlies auftaucht. Jumbo ist da pflegeleichter und produktiver. Was
aus ihm hinten rausfällt, erfreut die Rosen, die ich an der Einkehr -Hauswand
hochzuziehen versuche. Um den scheußlichen Klinker zu verbergen. Vielleicht hat
mir das Pferd ja ein Gastgeschenk hinterlassen.
»Bleib, wo du bist!«, sage ich zum Wäschekorb. Linus, auf der Decke
daneben, hebt nicht mal den Kopf. Der faule Hund hat für heute genug vom
Spazierengehen. Kann ich ihm nicht verdenken.
Tatsächlich finde ich mehrere Andenken an Jumbos Aufenthalt im
Kuhstall und davor. Was sollen wir bloß mit diesem alten Schuppen tun? Mein
Blick schweift über die ehemalige Melkgrube, in der ich böse Erfahrungen
gemacht habe und deren Einrichtung längst verkauft ist. Lange hatte ich ja
gehofft, den Stall einem der Nachbarbauern vermieten zu können, aber keiner
hatte Interesse daran. Er sei viel zu klein für die heutigen Anforderungen,
höre ich immer wieder. Meine Antwort, früher habe doch eine ganze Familie von
den dort gemolkenen Kühen gelebt, stößt auf höhnisches Gelächter und die
Bemerkung, früher sei der Milchpreis ja auch noch anständig gewesen. Heute
müsse man mehr als hundert Kühe haben, um eine Familie zu ernähren, sogar wenn
jede Kuh über fünfzig Liter täglich produziere. Aber gut leben könne man davon
noch lange nicht. Da müsse man schon einen Stall für vierhundert Kühe
errichten, wie der Bauer aus Hallschlag, der gerade so ein riesiges Gebäude,
den größten Kuhstall von Rheinland-Pfalz, mitten in die Landschaft setzt. Eine
Landschaft, die diese Kühe nie sehen werden, da man unmöglich so viele Tiere
zum Melken in einen Stall und später wieder heraustreiben kann. Innerhalb
dieses Stalls aber würden diese Kühe jeden erdenklichen Rindviehkomfort
erleben, hat mir Hein versichert. Jede Kuh hätte fast acht Quadratmeter Lauf-
und Liegefläche, mehr als die für tiergerechte Haltung geforderten fünf
Quadratmeter.
Ich schippe die Pferdeäpfel in meine Schubkarre, verliere aber die
Lust an gärtnerischen Aktivitäten, als mir auf dem Weg zurück der
Mirabellenbaum ins Auge fällt, unter dem tatsächlich auch Mitte Oktober noch
zahlreiche gelbe Früchte liegen. Ich
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