Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
hole einen Eimer aus dem Stall und sammele
die kleinen Pflaumen auf, die nicht allzu verrottet sind und noch genießbar
aussehen. Es hat durchaus Vorteile, dass auf der Schneifel alles später im Jahr
reif wird als anderswo. Plötzlich fällt mir ein, dass ich meine
Babysitterpflichten sträflich vernachlässige. Ich stelle also den Eimer zu den
Pferdeäpfeln in die Schubkarre, lasse sie stehen und eile zum Restaurant
zurück.
»Warum kannst du kein Pferd sein und aus deinem Brei was Nützliches
produzieren?«, frage ich in die Küche hinein. Kein Geräusch. Ich trete an den
Wäschekorb heran.
Und nenne das Kind zum ersten Mal bei seinem Namen.
»Vinzenz?«
Ich spreche zu einem leeren Wäschekorb. Das Kind ist weg. Das darf
doch nicht wahr sein! Wann fangen Kinder mit dem Laufen an? Doch nicht, bevor
sie sitzen können, so viel weiß auch eine Frau, die nie Mutter war.
Fieberhaft durchwühle ich meine immer noch warme, nicht mehr ganz
saubere Wäsche, als hätte sich der Winzling boshafterweise zwischen meine
Unterhosen eingegraben, um mich zu ärgern. Kein lebendes Fleisch. Nichts
Menschliches. Vinzenz ist weg.
»Linus?!«
Mein Hund hebt den Kopf und fiept.
»Linus, wo ist Vinzenz?«
Der Hundekopf fällt wieder auf die Decke und schnarcht weiter.
»Verdammt noch mal, was bist du für ein Wachhund!«, schreie ich ihn
an. »In dir steckt ein Kampfhund, hast du das vergessen?«
Linus erhebt sich müde und reibt seinen Kopf an meinem Bein.
»Nix da, ich beruhige mich erst, wenn du mir zeigst, wo das elende
Kind ist!«
Mit einem Blick, der bei einem Menschen sagen würde, wenn ’ s nur das ist, trottet Linus
aus der Küche. Ich folge ihm und überlege, ob die Kehr das Bermudadreieck abgelöst
hat. Erst verschwindet eine Frau, dann eine Hanfernte und jetzt ein Baby. Zwei
Menschen in meiner Umgebung werden wegen Mordverdachts von der Polizei
vernommen, und Marcel hat sich den ganzen Tag nicht blicken und nicht einmal
von sich hören lassen. Ich komme mir ganz schön einsam vor.
Und ich habe Angst.
Viertes Gericht
Schweinisches Allerlei
Senatorenschweinsroulade mit gewürztem Süßkartoffelpüree gefüllt,
hauchdünn mit geriebenen Mandeln paniert, an jungem Gemüse auf Kräuterbeet
Ich folge dem Hund durch den Flur zur offen stehenden Tür
des künftigen Raucherzimmers, dem ehemaligen Schlafzimmer von Heins Eltern. Die
heruntergezogenen Jalousien lassen kaum Licht durch. Nur die üblichen Konturen
von aufeinandergestapelten Tischen und Stühlen an der Wand und den hochkant
gestellten Ehebetten sind zu erkennen. Erst als sich Linus vor einen Tisch legt
und fiept, sehe ich darunter einen Schatten, den ich nicht zuordnen kann. Dann
höre ich eine verängstigte Stimme:
»Katja, ruf diesen schrecklichen Hund zurück!«
Ich knipse das Licht an. Mit dem Rücken zur Wand kauert Cora unter
dem Tisch. In ihren Armen hält sie das Baby. Sie zittert am ganzen Leib.
Ich atme tief aus.
»Linus, komm her!«, rufe ich. Der Hund erhebt sich, sieht kurz zu
mir hinauf und tapert dann mit müde herabhängendem Haupt wieder in die Küche.
Als hätte er seine Pflicht getan. Er ist noch lange nicht ausgeschlafen.
»Was machst du hier?«, frage ich ratlos. Hat Gudrun doch recht
gehabt? Will Cora das Baby stehlen?
Die Igelfrau kriecht unter dem Tisch hervor und reicht mir das Kind.
»Deine Tür war offen«, sagt sie, »und als ich in der Küche das
schwarze Ungeheuer neben dem Baby liegen sah …«, ihre Unterlippe bebt, »… habe
ich all meinen Mut zusammengenommen und das Kind gerettet. Mir zittern immer
noch die Knie.«
»Gerettet? Vor Linus?«, frage ich verständnislos.
»Es ist unverantwortlich, ein solches Tier mit einem Säugling allein
zu lassen!«, schimpft Cora. Sie geht mir auf dem Flur in die Küche voran, als
wäre sie hier die Hausherrin.
»Linus ist ein Schaf im Labrador-Staffordshire-Terrier-Pelz«,
erwidere ich, jetzt auch wütend. »Der tut keiner Maus was zuleide.«
Eher diese ihm, könnte ich ihr sagen, wenn ich nicht so wütend wäre.
Unvergesslich ist mir nämlich der Tag im vergangenen Winter, als eine Maus
meinen Riesenhund angefallen und ihn blutig gebissen hat. Gut, das hätte das
Tierchen wohl kaum gewagt, wenn Linus seine Nase nicht voller Neugier in den
Schneehaufen gesteckt hätte, unter dem sie wahrscheinlich nach Krumen des
vergangenen Sommers suchte. Linus heulte, ließ sie davonhuschen und musste dann
verarztet und getröstet werden. Eine Geschichte, über die wir uns immer
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