Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
auf seiner Decke
neben dem Wäschekorb liegt. Linus rührt sich nicht. Er glaubt wohl, für diesen
Tag genug gehorcht zu haben. Also schnappe ich den Wäschekorb und stelle ihn
auf den Küchentisch.
Den Finger, den die Igelfrau vorsichtig in die winzigen Fäuste legt,
hält das Baby ganz fest. Es öffnet die Augen, strahlt Cora an und gluckst.
»Siehst du, er mag mich. Wie lange wird er denn bei euch hausen?«
Der Antwort, die ich ihr sowieso schuldig geblieben wäre und die ich
auch gern gekannt hätte, werde ich enthoben.
»Ich bin wieder da!«, trällert Gudrun und schleppt zwei riesige
Windelpakete in die Küche.
»Also wohl ziemlich lange«, beantwortet sich Cora selbst die Frage.
Gudrun wirft ihr einen unfreundlichen Blick zu, packt mich an den Schultern und
schüttelt mich freudig.
»Hans-Peter kommt frei!«, jubelt sie. Und erzählt mit leuchtenden
Augen, dass er sie soeben angerufen habe und in etwa zwei Stunden von der
Polizei wieder auf die Kehr zurückgebracht werde.
»Er steht also nicht mehr im Verdacht, seine Frau umgebracht zu
haben?«, frage ich. Cora hebt die Augenbrauen.
»Olala«, sagt sie, »schon wieder dieser geheimnisvolle Hans-Peter!
Ein potenzieller Mörder? Also das ist es, was mir Marcel gestern partout nicht
erzählen wollte! Obwohl ich ihn so lieb darum gebeten habe. Wie ist seine Frau
denn ums Leben gekommen?«
»Marcels Frau lebt noch. Sie ist ihm davongelaufen«, knurre ich,
ungehalten, dass Cora Marcel »so lieb« um etwas gebeten haben soll.
»Nein, Klaus-Dieters Frau!«
»Hans-Peter«, singt Gudrun. »Er heißt Hans-Peter!« Und setzt mit
einer für sie ungewöhnlichen Dramatik hinzu: »Wie meine Zukunft!«
Eine Zukunft, die Hans-Peter heißt. Nicht mal zu Anfang der vierzehn
Jahre hätte ich das zu träumen gewagt! Ehrlich gesagt, wäre mir das
wahrscheinlich schon damals wie ein Albtraum vorgekommen. Im letzten Jahr hatte
ich viel Zeit, über die Vergangenheit nachzudenken, und bin zu dem bitteren
Schluss gekommen, dass ich beziehungsunfähig bin. Und dies durch die Rolle der
heimlichen Geliebten sogar vor mir selbst gänzlich verschleiern konnte. Da er
sich nicht trennen wollte, lag die Schuld immer bei ihm, und ich war fein aus
dem Schneider. Doch nicht ich war Hans-Peters Opfer gewesen, sondern er in
gewisser Hinsicht meines. Es kam meiner Bequemlichkeit entgegen, einen Freund
zu haben, für den ich nichts weiter tun musste, als gelegentlich für ihn da zu
sein. Ohne jegliche Verpflichtung. Und ohne mich aus meiner Wohnung zu bewegen.
Unsere spezielle Situation enthob mich der Verantwortung, mich auf die Suche
nach einem Lebensbeglücker begeben zu müssen. Und das Versprechen, seine Frau
zu verlassen, sobald die Kinder aus dem Haus seien,
gehörte zu einem uralten Ritual, das genauso sinnentleert eine Zukunft beschwor
wie das Tageshoroskop der Zeitung. Rituell erscheinen mir im Nachhinein auch
die Fressattacken vor dem Kühlschrank, meinem damaligen Lebensmittelpunkt, wenn
mich Hans-Peter mal wieder versetzt hatte. Wäre ich jetzt freundlicher gestimmt,
würde ich sagen, wir spendeten einander Trost in einer langsam sehr
unübersichtlich werdenden Welt und gestalteten unseren eigenen Planeten auf ähnliche
Weise, wie heute manch junger Mensch ein zweites Leben im Internet führt. Mein
erstes Leben, also meine Arbeit, blieb von diesen heimlichen Begegnungen unbeeinflusst;
Hans-Peter hingegen musste das erste mit dem zweiten Leben koordinieren. Mit
anderen Worten: Er musste ständig lügen. Was ihm sicher nicht sonderlich
schwerfiel. Schließlich ist auch die Politik, Hans-Peters Betätigungsfeld, eine
von Ritualen durchsetzte diffuse Angelegenheit, bei der dem Spiel mit Glauben
und Hoffnung oberste Priorität eingeräumt wird und die Wahrheit allem anderen
untergeordnet wird. Mit ähnlichen Mitteln wie für den Bezirksstadtrat hat er
bei mir um den Posten als Liebhaber kandidiert. Und ich habe ihn immer wieder
aufs Neue gewählt, obwohl ich genau wusste, dass er seine Versprechungen nie
einhalten würde. Warum nur? Wohl aus dem gleichen Grund, weshalb manche Leute
ihr Leben lang einer Partei treu bleiben, obwohl sie immer wieder von ihr
enttäuscht werden. Aus Gewohnheit, Bequemlichkeit und einem gewissen
Desinteresse heraus. Nicht etwa, weil sie wirklich hoffen, dass ihre Zukunft
Hans-Peter heißt.
Bei Gudrun liegt die Sache anders. Sie hat Hans-Peter aus ganzem
Herzen gewählt. Voller Zuversicht, Begeisterung und Überzeugung.
»Du glaubst also wirklich, dass
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