Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
noch
amüsieren. Aber jetzt ist mir nicht zum Lachen zumute.
Was fällt der Frau ein, sich in mein Haus zu schleichen, das Baby
aus dem Wäschekorb zu klauen und meinen Hund zu beleidigen? Was hat die für
einen Nerv, hier zu erscheinen, nachdem ich an ihrem Haus
heute so rüde abgefertigt worden bin?
»Am besten, du gehst gleich wieder«, sage ich, während ich das Baby
in den Wäschekorb zurücklege. »Auch mein Haus steht nicht jedem ständig offen.«
»Deswegen bin ich ja hier«, erwidert Cora und legt mir versöhnlich
eine Hand auf die Schulter. Ich trete einen Schritt zurück, stoße dabei gegen
die Anrichte und werfe das Kräuterglas um. Es zerschellt auf den blitzblank
gewienerten Fliesen. Hastig bückt sich Cora und beginnt die Scherben aus der
trüben Wasserlache aufzusammeln.
»Tut mir so leid!«, erklärt sie. »Aber ein Tier, das zur Hälfte ein
Kampfhund ist, kann unberechenbar sein. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich hatte
ungeheure Angst um den Kleinen.«
»Und warum bist du überhaupt hier?«, frage ich.
Sie wirft die kräuterverklebten Scherben in den Müll.
»Um mich für Gertis Verhalten zu entschuldigen. Und dich zu uns
einzuladen. Wo ist der Wischmopp?«
Ich werfe ihr eine Rolle Küchenpapier zu. Diese Frau lügt mich an;
da bin ich mir ganz sicher. Aber weshalb? Was will sie von mir?
»Warum konnte mir Gerti nicht ganz einfach sagen, dass ich ungelegen
komme?«, bohre ich nach.
»Weil das nicht so einfach ist«, erwidert sie, ohne aufzuschauen.
»Du bist nicht die Einzige, bei der es derzeit drunter und drüber geht. Wir
haben auch eine Reihe massiver Probleme.«
»Habt wohl vergessen, eure Aura aufzupolieren?«, frage ich schroff.
»Oder hatte Gerti einen im Tee? Im südafrikanischen Rooibostee?«
Cora hält mit dem Putzen inne. Ihre Schultern zucken. Einen
Augenblick lang denke ich, sie heult. Aber dann wendet sie sich mir zu, und ich
sehe in ein Gesicht, das mich irgendwie an die Sonne über dem Krewinkeler Märchenschloss
erinnert.
»Ach, Katja!« Cora bricht jetzt in schallendes Gelächter aus. Sie
wischt sich mit Küchenpapier die Augen und bemerkt fröhlich: »Ich wünschte, ich
könnte dir sagen, was bei uns los war, aber das geht leider nicht.«
»Sektengeheimnis?«, frage ich trocken. Ich finde die ganze Sache
überhaupt nicht komisch.
»So was Ähnliches. Aber ich kann dir sagen, warum ich mich so um den
Kleinen sorge.« Ihr Gesicht verdunkelt sich erheblich schneller, als sich eine
Wolke vor die Sonne schieben könnte. Habe ich es hier mit einer manisch-depressiven
Wahnsinnigen zu tun, die eigentlich in der geschlossenen Anstalt der Sekte zu
verbleiben hat? Wie konnte ich nach den Erfahrungen des letzten Jahres so
vertrauensselig sein? Nur weil ich sie und ihre Leute für harmlos hielt?
»Da bin ich aber gespannt«, erwidere ich und lade sie mit einer
Handbewegung an den Küchentisch ein.
»Ich hatte mal ein ganz normales bürgerliches Leben«, beginnt sie,
»mit Ehemann, zwei Kindern …« Sie legt eine Pause ein, schnäuzt sich die Nase
und starrt vor sich hin. Also doch, denke ich, eines der Kinder ist gestorben,
und Vinzenz erinnert sie daran. So etwas Ähnliches hatte ich schon vermutet.
Aber ihre Geschichte nimmt eine ganz andere Wendung.
»… und einem Familienhund«, fährt sie flüsternd fort. »Der uns als
Labrador-Boxer-Mischling verkauft wurde. Friedliche Rassen. Mit zwei kleinen
Kindern hätten wir uns doch nie ein gefährliches Tier angeschafft!« Sie schaut
mich verzweifelt an und schlägt mit der flachen Hand auf den Holztisch. »Wir
konnten doch nicht wissen, dass da kein Boxer, sondern ein Pitbull drinsteckte!
Und dass er auf das Baby der Nachbarin losgeht!«
Den letzten Satz schreit sie heraus.
»Oh Gott«, sage ich, jetzt ehrlich betroffen. Ich wage nicht zu
fragen, wie das geschehen konnte und was aus dem Baby geworden ist. Coras
Gesicht sagt mir mehr als genug.
Im Stillen leiste ich der Igelfrau Abbitte. Nach einer solchen
Katastrophe kann man ja gar nicht mehr ganz dicht sein. Logisch, dass man dann
Halt bei einer Gruppe sucht, die sich einem völlig anderen Lebensentwurf
verschrieben hat. Und anderer Leute Kinder vor Kampfhunden retten möchte.
»Das war dann auch das Ende meiner Ehe«, fährt sie nach einer langen
Pause schniefend fort. »Seitdem kann ich es nicht ertragen, einen großen Hund
neben einem schlafenden Baby zu sehen. Und jetzt möchte ich nicht mehr darüber
reden.«
»Komm her, Linus«, rufe ich meinen Hund, der wieder
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