Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
wohnen, und sitze gern
in ihrem hübschen Biedermeierzimmer. Und wie Gudrun gewohnt hat, bevor sie ihr
Haus verlor und in der Einkehr untergekommen ist.
Warum hat mich Marcel eigentlich nie zu sich nach Hause eingeladen?
Weil er sich mir nie aufdrängen wollte, gebe ich mir selbst die Antwort. Seit
dem Kuss vor einem Jahr war ich nie wieder wirklich nett zu ihm, war zickiger,
als es sonst meine Art ist, und habe einen unmissverständlichen Abstand
eingehalten.
Verstehen kann ich nicht, weshalb es mir ausgerechnet heute Abend so
wichtig erscheint, sein Ambiente kennenzulernen. Vielleicht weil die Ereignisse
der vergangenen zwei Tage mein so mühsam erworbenes Eifeler Äquilibrium
gründlich durcheinandergeschüttelt haben? Weil Jupp und Hein in Köln abtanzen,
Gudrun ihren Kummer wegschlafen soll und ich hier sonst niemanden kenne, mit
dem ich mitten in der Nacht reden kann?
Ich bin einsam und brauche einen Freund. So, jetzt, da ich es mir
selbst eingestanden habe, kann ich mich auch auf die Socken nach Sankt Vith
machen und zum ersten Mal bei Marcel Langer einfallen.
Aber darf ich mich ihm überhaupt
aufdrängen? Sollte ich nicht lieber erst anrufen und mich ankündigen? Immerhin
ist es nicht mehr so ganz früher Abend. Vielleicht hat er Besuch. Er ist kein
unattraktiver Mann, nur ein bisschen schlampig, aber das mögen ja manche
Frauen. Nach einer gewissen Gewöhnungsphase sehe ich den schief gestutzten
Schnurrbart schon gar nicht mehr. Natürlich mache ich ihn darauf aufmerksam,
wenn aus seinem blauen Polizeihemd das Schildchen lugt, das die 40-Grad-Wäsche
des T-Shirts empfiehlt, aber das ist ja auch der Härtefall: auf links und verkehrt herum angezogen. Inzwischen fällt es mir ja
nicht einmal mehr auf, wenn er verschiedenfarbige Socken trägt, was Cora beim
Vorbeifahren aus den Augenwinkeln bemerkt hat!
Nein, eine Abfuhr per Telefon könnte ich nicht ertragen. Sollte er
mich tatsächlich an der Wohnungstür abfertigen, kann ich mich die ganze
Rückfahrt darüber ärgern und habe den Dampf abgelassen, wenn ich wieder in
meinen eigenen vier Wänden bin.
Ich habe die Schuhe bereits wieder angezogen und fahnde nach meinem
Autoschlüssel. Da erst fällt mir ein, dass ich neben der Adresse auch eine
Wegbeschreibung brauche. Hein hat schon recht: Nicht alles am Computer ist
schlecht. Ich drucke mir die Route aus und erfahre, dass ich in vierunddreißig
Minuten bei ihm anklingeln kann. Das klingt schon sehr nah.
In Krewinkel fahre ich äußerst langsam an der Unfallstelle vorbei. Durch
das zerborstene Tor sehe ich Licht in Victors Trutzburg. Ob er Cora gerade das
Gedeihen ihrer Kräuter auspendelt? Das rote Rennrad steht immer noch nicht
wieder an der Mauer.
Friede deiner Asche, Holger Eichhorn, murmele ich und gondele den
Berg hinauf nach Manderfeld. Im Gegensatz zu den belgischen Autobahnen sind die
Landstraßen nicht beleuchtet, was in diesem Teil Belgiens auch höchstens wegen
der Schlaglöcher erforderlich wäre. Bis Schönberg kommt mir kein einziges Auto
entgegen.
Einladung zur Whiskyprobe kündigt ein
Schriftzug bei einem Restaurantschild an. Sofort werden Erinnerungen an eine
Nacht mit Marcel wach, in der wir uns mit einem Single Malt, der nach
Moorleiche schmeckte, gegenseitig unter den Tisch getrunken haben und am
nächsten Morgen zusammen in einem Bett aufgewacht sind. Angezogen, versteht
sich, wenn auch nur in Unterwäsche. Was schon peinlich genug war. Meine Güte,
ist das lange her!
Events sind für ein Restaurant immer gut, lenke ich meine Gedanken
schnell in eine unverfänglichere Richtung, vielleicht sollte ich über eine
Probe von Eifeler Schnapsbränden in der Einkehr nachdenken.
Lieber nicht; wir befinden uns zu weit abseits, und die Leute, die mit ihren
Autos hinkommen, werden auch mit ihnen wegfahren; so ist das eben in der Eifel,
wo jegliches Missionieren gegen Alkohol am Steuer schon im Keim erstickt wird.
Da hat mich Jupp schon ganz zu Anfang eingeweiht: »Wenn du nachts
eine unglückliche Begegnung mit einem anderen Auto hast und im Straßengraben
landest, bloß nie die Polizei rufen!«
»Warum nicht?«
»Weil einer von euch beiden bestimmt besoffen ist, und jeder braucht
hier Führerschein und Auto.«
»Aber wie komme ich aus dem Graben raus?«
»Ihr geht zum nächsten Bauern. Der holt dann seinen Trecker und
zieht euch raus. Fertig.«
»Und der Schaden? Die Versicherung?«
»Ach was, Versicherung, Führerschein ist wichtiger. Wer schuld ist,
zahlt. Das ist
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