Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
Bauchlage
erspart uns zwar allzu intime Einblicke, aber das hätte den Kopf, der still in
einem Brei von Erbrochenem liegt, auch nicht mehr gestört. Keine von uns beiden
muss sich herunterbeugen, um den Puls zu fühlen. Die erstaunt geöffneten Augen
des seitlich gelagerten Kopfes sagen uns mehr, als wir wissen wollen.
»Oh Gott«, flüstert Frau Marion.
Ja, ein Gebet ist jetzt wirklich angebracht. In welchem Jenseits
sich Hans-Peter befindet, ist sicherlich Glaubenssache. Cora und die Ihren
würden ihm wohl das Nirwana wünschen. Dagegen hätte ich nichts einzuwenden.
Hauptsache, er wird nicht wiedergeboren.
Fünftes Gericht
Holunderbirne im Elchherzmantel
mit frittierten Kartoffeln nach belgischer Art und karamellisiertem
Rosenkohl
Abends
Keine Ahnung, wie lange ich schon im Kaminzimmer des
Schlosshotels vor mich hin döse, im weichen braunen Ledersessel wie mit einem
zweiten Fettpolster verschmolzen. Zusammenhanglose Gedankenfetzen schwirren mir
durch den Kopf. Ich weiß nicht einmal mehr genau, was ich der Euskirchener
Kriminalpolizei erzählt habe, erinnere mich vor allem daran, dass mich der
ältere Polizist sehr misstrauisch beäugt hat. »Sie schon wieder?«
Und dann wurde ich gelöchert. Zwei mysteriöse Todesfälle in zwei
Tagen. Und jedes Mal finde ich die Leichen auf.
»Nicht in Krewinkel«, hatte ich vehement erwidert und mich damit
wohl noch verdächtiger gemacht, denn da erst brachten die Beamten die Meldung
über den merkwürdigen Verkehrsunfall in Belgien mit den anderen beiden Fällen
in Verbindung. Und mit Gaby von Krump-Kellenhusens Verschwinden. Und mit den Morden
vom vergangenen Jahr. Die längst aufgeklärt und mir nicht mehr anzulasten sind.
Plötzlich war sogar die Rede von einem verschwundenen Baby.
»Das ist bei mir«, hatte ich müde geantwortet. Da fragte mich der
ältere Polizist in einem unerträglich mitfühlenden Ton tatsächlich, ob ich mir
nicht vielleicht schon immer ein eigenes Kind gewünscht hätte? So ein
Niedliches wie den süßen Vinzenz? Ein kleines Wesen zum Liebhaben? Manchmal sei
der Kinderwunsch so übermächtig, dass eine Frau gar nicht anders könne, als ein
scheinbar elternloses Baby bei sich nach Hause mitzuholen .
Für meine Fassungslosigkeit fand ich keine Worte.
Es sei doch recht merkwürdig, fuhr der Beamte mit gleichbleibender
Freundlichkeit fort, dass sich der Säugling ausgerechnet in meiner Obhut
befinde. Nachdem die Frau des inzwischen Verstorbenen von der Bildfläche verschwunden
ist. Habe es darüber vielleicht mit dem Großvater des Kindes Streit gegeben?
Habe er das Kind zurückverlangt? Und habe die Frau, die heute sämtliche Windeln
aus dem Hotelzimmer mitgeholt hatte, etwa in meinem Auftrag gehandelt?
Ich schüttelte zu allem den Kopf. Nickte nur, als die Polizisten
mich aufforderten, im Hotel zu bleiben, bis sie mit dem Baby von der Kehr
wieder zurückkämen. Mein Handy haben sie mir abgenommen; wahrscheinlich
befürchten sie, dass ich meine Aussage mit der Windelhandlangerin Gudrun
abspreche. Oder sie wollen nachprüfen, ob ich mich mit Hans-Peter in seinem
Zimmer verabredet und ihn dort irgendwie umgebracht habe.
Dabei ist noch längst nicht geklärt, ob sein Tod nicht vielleicht
doch eine natürliche Ursache hat. Immer wieder gibt es Leute, die Saunagänge
nicht überleben – zudem hat er zur großen Betrübnis des Hotelbesitzers in der
Nichtrauchersuite, vermutlich im Sessel unter dem gold gerahmten
Napoleongemälde, auch noch Pfeife geraucht.
Geradeaus denken geht gar nicht mehr. Ich schließe die Augen, voller
Entsetzen darüber, dass der Mann, den ich in den letzten beiden Tagen öfter tot
gewünscht habe, jetzt wirklich tot ist. Alles andere verblasst daneben. Ich
fühle mich schuldig, als hätte ich seinen Tod heraufbeschworen. Ein Gedanke
setzt sich in meinem Kopf fest: Wenn sich Mutter Agnes allein durch ihren Willen getötet haben sollte, kann dann vielleicht auch eine
Verwünschung zum Tod führen, wie Voodoo-Anhänger glauben? Fauler Zauber, denke
ich. Sofort fallen mir wieder die Leute in Krewinkel ein, was das Chaos im Kopf
nur noch vergrößert.
Plötzlich dringt eine Stimme wie aus einer anderen Welt zu mir
durch:
»Sie müssen doch fürchterlichen Hunger haben. Darf ich Ihnen etwas
zu essen bringen, während Sie warten?«
Der vertraute Tonfall, dieses leicht geröchelte R der
Deutschsprachigen Gemeinschaft und die sehr berechtigte Frage wecken meine
Lebensgeister.
»Sie sind Belgier«, erkläre ich erstaunt und
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