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Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)

Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)

Titel: Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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alten Lampe nicht zu erkennen ist.
    »Heute ist zum Beispiel besser, dass ich nur die Heizung weiter
aufdrehen muss, damit es wärmer wird. Hast du kalt?«, fragt er besorgt und
berührt mit seiner Hand leicht meinen rechten Unterarm.
    Jetzt greife ich rasch zur Flasche und schüttele den Kopf.
    »Nein, ist warm genug hier«, murmele ich, was einer ziemlichen
Untertreibung gleichkommt. Meine Güte, ist mir heiß!
    »Aber deine Gänsehaut …«
    »… kommt von meinen Gedanken«, sage ich heiser, räuspere mich und
schicke schnell hinterher: »Ich dachte an die armen Muscheln, die doch in so
kaltem Wasser leben müssen.«
    »Vielleicht gefällt es ihnen ja. Jedes Wesen sollte sich in seinem
Umfeld wohlfühlen«, bemerkt Marcel, »in Monaten mit und ohne R. Was hat es
damit auf sich?«
    Während alle Teile seiner linken und meiner rechten Seite bald nur
noch durch zwei dünne Kleidungslagen voneinander getrennt sind, erzähle ich ihm
von den Algen, die in den heißen Monaten blühen, Toxine bilden und sich in
gefährlichen Konzentrationen in Muscheln anreichern. »Das nennt man Shellfish
Poisoning«, doziere ich, »aber die Gefahr ist heutzutage gebannt. Die
Aufzuchtgebiete sind kontrolliert, und es gibt ein sehr effizientes
Frühwarnsystem für Algentoxine, also kann man das ganze Jahr hindurch Muscheln
essen.«
    »Muss man aber nicht«, entgegnet Marcel und streichelt wie
geistesabwesend meine Hand. »Pipas bietet sie auch nur um diese Zeit an.«
    Eine Tradition, die genauso überkommen ist wie die Möbel in Marcels
Wohnung. Eine Tradition, die Strukturen schafft, den Menschen Anhaltspunkte
liefert und ihnen das Leben vereinfacht. Was kann daran falsch sein? Ich habe
immer noch viel zu lernen in der Eifel.
    Das Wort Demut kommt mir in den Sinn, ein Begriff, den ich,
vielleicht weil kirchlich besetzt – und damit habe ich gar nichts am Hut –, aus
meinem Wortschatz eigentlich längst gestrichen habe. Sonst wäre in meiner alten
Berliner Modewelt nie was aus mir geworden. Genauer gesagt: Ich hätte da nicht
überleben können, wenn ich mir auch nur einen demütigen Gedanken erlaubt hätte.
Nassforsches Auftreten war gefragt. Eine gewisse Unverschämtheit und, im Umgang
mit den Journalistenkollegen, berufserhaltende Ruppigkeit. Wer Schwäche zeigte,
wurde verlacht, ausgebootet und konnte einpacken. Was kostet die Welt? Und:
Zeige mir, was du trägst und wie du wohnst, und ich sage dir, was für ein Verlierer
du bist. Mit einem Blick wurde über Hop oder Top entschieden.
    Ich schaue Marcel an und erkenne so etwas wie einen – auch das Wort
fällt mir schwer zu denken, und doch trifft es zu –: einen Sieger. Einen
Menschen, der im Reinen mit sich und der Welt ist, der er unverkrampft begegnet.
Er schielt nicht auf die Wirkung, die er bei anderen hervorruft. Er braucht
keine zustimmend lächelnden Adepten wie Victor, er muss keine Philosophie proklamieren,
nicht demonstrativ zeigen, wie bewusst er lebt. Er lebt. Und das ist mehr, als
ich von vielen Menschen sagen kann, vor allem von einigen, mit denen ich in den
letzten Tagen zu tun gehabt habe. Das Herz läuft mir über.
    »Marcel, ich liebe dich.«
    Oje. Das ist jetzt wie mit den Fritten. Einfach so rausgekommen.
Ganz schlimm.
    Ich kann mir nicht wieder auf die Lippen beißen, weil ich dann seine
Schnurrbarthaare im Mund hätte. Seine Lippen fühlen sich sehr gut an, weich und
voll. Er sollte sich den Schnurrbart abrasieren, denke ich, und dann kann ich
nicht mehr denken, weil ich nur noch aus Gefühl bestehe.
    Aus dem ersten schönen Gefühl seit undenklichen Zeiten. Auch wenn
meine Position nicht sehr komfortabel ist. Die Tischkante drückt mir in die
Seite, mein rechtes Bein, das irgendwie mit einem seiner Beine verknotet zu sein
scheint, droht einzuschlafen, und in der anderen Wade kündigt sich ein Krampf
an.
    »Das wurde aber auch Zeit«, sagt Marcel, als wir beide Luft holen
müssen.
    »Nicht aufhören«, sage ich und setze zaghaft hinzu: »Können wir das
nicht bequemer haben?«
    Er lässt mich los, steht auf, nimmt mich an der Hand und führt mich
in das Nebenzimmer. Die weiß bezogene dicke Daunendecke, die eine Hälfte des
Doppelbettes bedeckt, in dem vermutlich diverse Generationen knorriger Langers
gezeugt wurden, ist zurückgeschlagen und offenbart ein straff gezogenes
sauberes Laken.
    Noch vor wenigen Stunden hatte ich mir das ewige Zölibat
verordnet. Was habe ich mir da eigentlich vorgemacht? War es vielleicht doch
die Furcht vor den sauren

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