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Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)

Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)

Titel: Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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ist.«
    »Ist es. Taub. Milchglasscheibe. Man wird völlig gefühllos, nicht
wahr? Plötzlich ist alles anders und alles andere unwichtig.«
    Genau so ist es. Ich nicke.
    »Ich habe ihn nicht mehr geliebt, Marcel. Schon lange nicht mehr.
Wahrscheinlich nie. Trotzdem fühle ich mich ganz elend.«
    Marcel nimmt einen langen Schluck aus seiner Pulle. Setzt sie dann
knallend auf dem Küchentisch ab.
    »Vorsicht«, sage ich, »den hat dein Großvater sicher auch selbst
gebaut.«
    Er schüttelt den Kopf. »Nein, der ist von mir.«
    »Du kannst schreinern?«
    Er schüttelt wieder den Kopf. »Nicht wirklich.«
    Ich sehe mir den großen viereckigen Holztisch genauer an, die massiven
Beine, die nach meinem laienhaften Verständnis vernünftig an der Platte
angebracht sind.
    »Sieht doch gut und stabil aus!«
    »Ich war damals zwölf. Wollte meinem Vater imponieren. Natürlich
habe ich mir von meinem Großvater helfen lassen. Was der geschimpft hat! Wenn
es nicht so dramatisch klingen würde, könnte man sagen, an diesem Tisch kleben
Blut und Tränen. Danach habe ich nie wieder was gebaut.«
    »Und trotzdem steht er hier.«
    »Vielleicht deshalb.«
    »Weil du so ungeschickt warst?«
    »Das auch.« Marcel streicht mit der flachen Hand über den Tisch.
Nicht zum ersten Mal fallen mir seine Klavierspielerfinger auf; lang, schmal
und sehr beweglich. Keine Spur altersbedingter Ausbuchtungen. »Aber vor allem,
weil ich so nachlässig mit seinen Werkzeugen umging. Die hat er mehr geliebt
als seine Familie. Und unglaublich gepflegt.«
    »Und du hast sie einfach herumliegen lassen und verschludert.«
    »Hätte ich mich nie getraut. Aber ich habe ihnen nach der Benutzung
nicht den nötigen Dank gezollt. So ungefähr hat das mein Großvater ausgedrückt.
Soll ich schnell in den Ratskeller gehen und noch ein paar Bier kaufen?«
    »Nein, Marcel«, sage ich. »Bleib hier.«
    Er steht auf und turnt unschlüssig vor dem Kühlschrank herum.
    »Hast du Hunger?«
    Ich muss lachen, weil ich den Joghurt, eine Möhre und die Käsekruste
im ansonsten leeren Kühlfach gesehen habe.
    »Nein danke, Marcel, ich habe im Burghaus Kronenburg Elch gegessen.«
    »Elch?«
    »Hirsch, meine ich, Entschuldigung. Hat übrigens richtig gut
geschmeckt.«
    »In Belgien kann man auch gut essen.«
    »Fritten?«
    Ich beiße mir nachträglich auf die Zunge. Es war schneller raus, als
ich denken konnte, und ist leider nicht mehr zurückzustopfen. Marcel seufzt und
setzt sich wieder neben mich. An die äußere Ecke der Eckbank. »Ich weiß ja,
Katja, du hältst uns irgendwie für kulturlose Barbaren. Das ist wohl das
Vorrecht jener, die aus Berlin in die Pampa kommen.«
    Er hält erschrocken inne, weil ihm wohl gerade dasselbe wie mir
einfällt: wie abfällig sich Hans-Peter gestern über mein belgisches Domizil und
meine Zukunftspläne in der Pampa geäußert hat. Und
wie tot dieser Mann jetzt ist.
    »Gut, dass du in dieser Situation was essen konntest«, fährt er
fort, obwohl er besser als jeder andere weiß, wie sehr ich gerade in einer
derartigen Situation der Nahrung bedarf. Während er es sich auf der Bank
bequemer macht, also wieder näher heranrückt, mustert er interessiert die
Bierflasche und setzt beiläufig hinzu: »Zum Muschelessen ins Pipas-Café würde
ich dich schon gern mal einladen wollen.« Ohne mich anzusehen, nimmt er hastig
einen Schluck und beginnt prompt zu husten. Normalerweise hätte ich ihm kräftig
auf den Rücken geschlagen, aber jetzt fürchte ich, ihn nach meinem losen
Mundwerk durch einen solch burschikosen Akt vielleicht noch mehr zu kränken.
Irgendwie kann ich auch meine Hand nicht vom Tisch nehmen, die inzwischen sehr
nah bei seiner liegt.
    »Abgemacht«, sage ich, als sein Anfall vorübergegangen ist und er
seine Hand entfernt, um sich Tränen abzuwischen, »sobald wir dieses Elend
hinter uns haben. Und das wird hoffentlich noch in einem Monat mit belgischem R
sein.«
    »Belgischem R?«, fragt er verwirrt.
    »Wie Oktober, November, Dezember – alles eben bis Mai, nur dann darf
man Muscheln essen.«
    »Sonst nicht? Was für ein Unsinn!«
    »Recht hast du! Aber früher war das wichtig. Nicht alles in der
guten alten Zeit«, ich klopfe auf den Tisch, »war besser als heute.«
    »Das stimmt«, erwidert Marcel und rückt jetzt so nah an mich heran,
dass ich seinen linken Oberschenkel an meinem rechten fühle. Ein wohliger
Schauer durchfährt mich. Die Härchen auf meinen Unterarmen richten sich auf,
was hoffentlich im schwachen Licht der

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