Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
setze mich aufrecht
hin. Dirk Peters, der Juniorhausherr des Burghotels, nickt freundlich und
reicht mir die Speisekarte, auf der ich den caramellisierten
Rosenkohl wiedersehe. Belgier. Ich deute auf das C.
»Das klingt gut«, sage ich, »sehr belgisch.«
»Ist es auch«, erwidert er nicht ohne Stolz. »Die Engländer nennen
Rosenkohl sogar Brussel Sprouts.«
»Den sie wahrscheinlich zu Tode kochen«, sage ich seufzend und setze
hinzu: »Ich liebe ihn knackig, koche ihn gar nicht, sondern gare ihn am
liebsten in der Pfanne an, ehe ich ihn karamellisiere.«
»Aha, Sie verstehen etwas davon«, bemerkt Peters, nachdem er einer
Kellnerin den Auftrag erteilt hat. »Unser Küchenchef leidet immer ganz
schrecklich, wenn den Eifelern der Rosenkohl zu süß und nicht weich genug ist.«
Wie gut es doch tut, wieder über eine unkonventionelle Zubereitung
von Lebensmitteln zu sprechen!
Das Essen serviert mir der Koch selbst im Kaminzimmer. Ein sehr
liebenswürdiger Schwabe, der meine Not erkennt und mir mitteilt, dass er im
Hauptberuf als Pfarrer arbeite. Das unausgesprochene Angebot, mein Herz zu
erleichtern, ist zwar reizvoll, doch vorerst ist der Hunger größer. Mit vollem
Mund möchte ich nicht über meine Lage sprechen. Nicht beten, dass dieser Elch
an mir vorübergehen möge. Elch? Hirsch! Der nicht vorübergehen, sondern mir
munden soll. Ich falle also über den erstaunlich zarten Eifeler Hirsch und den
caramellisierten Rosenkohl her. Und merke mir die Holunderbirne fürs eigene
Restaurant. Zum Elchfilet, versteht sich. Eingebungen sollte man beherzigen.
Herz. Elchherz, besser noch: mit Holunderbirne gefülltes Elchherz. Muss ich mal
ausprobieren.
Als ich beim Komponieren neuer Köstlichkeiten mein Glas korrespondierender Weinbegleitung geleert habe, dringt mir
vertrautes Babygeschrei in die Ohren. Frau Marion mit dem unaussprechlichen
Nachnamen kommt mit Vinzenz in den Armen herein, flankiert von den beiden
Polizisten, die Windelpakete schleppen.
»Sind Sie sicher, dass es Ihrer Mutter nichts ausmacht, das Kind für
ein paar Tage zu hüten?«, fragt der ältere Beamte.
»Sie freut sich darauf«, versichert die junge Frau, »Kinder fühlen
sich bei ihr immer wohl, das sehe ich an meinen eigenen. Sie hat nun mal sehr
gern kleine Kinder um sich.«
»Wie alle Frauen«, sagt der Beamte und wirft mir einen
nachdenklichen Blick zu. Ich bekomme mein Handy zurück und darf gehen. Natürlich
nicht ohne mir den Spruch des Zurverfügunghaltens anzuhören. Auf meine Frage,
wann mit dem Obduktionsergebnis zu rechnen sei, erhalte ich, wie erwartet,
keine Antwort.
Gudrun ist in Tränen aufgelöst und natürlich völlig verzweifelt.
»Seine Frau ist heimlich zurückgekommen, für ihn umzubringen«, heult
sie, »weil sie nicht will, dass er sie verlässt und endlich glücklich wird. Da
bin ich mir ganz sicher!«
Ich gebe zu bedenken, dass sich Hans-Peter in einem für Männer sehr
gefährlichen Alter befunden und er viel Stress hinter sich habe sowie
ungewohnte Aufregung. Dazu noch die Hitze der Sauna und die unaufhörliche
Qualmerei; da sei ein Herzinfarkt nicht unwahrscheinlich. Allerdings verkneife
ich mir die Bemerkung, wie anstrengend auch die Nacht mit einer liebestollen
Frau gewesen sein könnte. Eine solche Anzüglichkeit darf ich mir nicht leisten;
schließlich bin ich sexuell mindestens so ausgehungert wie sie. Nur dass ich
beschlossen habe, diesem Appetit für den Rest meines Lebens nicht mehr
nachzugeben. Das Thema Mann im Bett ist für mich genauso tot wie der letzte
Mann in Gudruns Bett.
Unter Schluchzen erzählt mir Gudrun, dass ihr die Polizeibeamten das
Baby regelrecht entreißen mussten. »Was soll Vinzenz denn im Kinderheim?«,
heult sie. »Bei mir hat er es doch so gut wie bei der eigenen Mutter! Wenn
nicht sogar besser!«
Ja, das habe sie den Polizisten auch gesagt, dennoch hätten sie ihr
das Kind weggeholt . »Es ist doch das Einzige, was mir
von Hans-Peter bleibt!«
Vorsichtig gebe ich zu bedenken, das Kind habe immerhin schon eine
Mutter, die es nach ihrer Karibikkreuzfahrt sowieso wieder einfordern werde,
und denke, wie erfreut der Beamte gewesen sein muss, bei der anderen Frau auf
der Kehr mit seiner Unterstellung so ins Schwarze getroffen zu haben.
»Vinzenz kommt nicht ins Heim. Und du wirst ihn regelmäßig besuchen
können«, mühe ich mich, meine Freundin zu trösten. »Er kommt jetzt zu unserer
Nachbarin unten an der Straße zur Kehr, zu Anneliese.«
»Da soll er lieber bei mir
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