Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
Ehrensache.«
»Und wenn beide finden, der andere ist schuldig?«
»Dann ist natürlich der schuld, der mehr geschluckt hat. Im Notfall
entscheidet das der Bauer.«
Nun, heute habe ich nur ein Glas edlen Rotweins getrunken, das wird
meine Fahrtüchtigkeit nicht einschränken. Anfangs fand ich es schon recht
befremdlich, dass in den hiesigen Familien schon zum meist recht üppigen
Mittagessen Wein ausgeschenkt wird. Schließlich kam ich nicht nur aus der
Großstadt, wo in den feinen Restaurants beim Mittagshäppchen über die Qualität
der unterschiedlichen Quellwasser diskutiert wird, sondern habe in der Modebranche
gearbeitet, wo – außer bei der zuständigen Redakteurin, also bei mir – jedes
Gramm Körpergewicht zählt. Im Gegensatz zu Kokain macht Alkohol dick. Wenn ein
Model beim Shooting ein Champagnerglas hält, kann man sicher sein, dass die
Maskenbildnerin später den billigen Sekt trinkt, der darin perlt.
Nach einer extrem scharfen Abwärtskurve bin ich in Sankt Vith und
kann im Licht der Straßenbeleuchtung meinen ausgedruckten Zettel wieder lesen.
Marcels Wohnung befindet sich über einem Friseursalon in einer
Seitengasse der Hauptstraße. Hinter zugezogenen Vorhängen brennt Licht.
M. Langer . Ich nehme all meinen Mut
zusammen und drücke auf den Klingelknopf. Lange Zeit passiert überhaupt nichts.
Ich will schon wieder gehen, als ich Schritte auf der Treppe höre. Dann öffnet
sich die Tür.
»Katja!«
»Guten Abend, Marcel, ich hoffe, ich störe nicht?«
Was für eine schreckliche Floskel! Hätte ich mir nicht etwas
Originelleres einfallen lassen können?
»Wie man’s nimmt«, antwortet er lächelnd und hält mir die Tür auf.
»Ehrlich gesagt, ist ein Besuch von dir schon ziemlich verstörend.«
»Ich wollte mal sehen, wie du wohnst«, sage ich ohne Umschweife.
»Ich warne dich; es wird dir nicht gefallen«, antwortet er und gibt
mir auf der knarrenden Holztreppe den Vortritt.
»Woher willst du das wissen?«, frage ich und trete durch die offene
Wohnungstür in einen ähnlichen Eichenalbtraum wie den, der jetzt mein Zuhause
ist. Lachend lasse ich mich auf ein ungeheuer geräumiges Sofa mit
undefinierbarem dunklen Stoffmuster im Massivholzrahmen fallen.
»Eines muss man euch Belgiern ja lassen. Ihr könnt saubequeme Möbel
bauen. Ist wie mit diesen modernen Wohnquadern, scheußlich anzusehen, aber ist
man erst mal drin, fühlt man sich pudelwohl.«
»Ich hab’s dir doch gesagt«, gibt er lächelnd zurück. »Aber soll ich
alles wegwerfen, nur weil es momentan vielleicht nicht in Mode ist? Dann müsste
man sich ja alle paar Jahre neu einrichten.«
»Was manche Leute auch tun«, entgegne ich.
»Dafür habe ich keine Zeit«, sagt er und klopft auf den gewaltigen
Couchtisch, der natürlich auch aus belgischer Eiche ist. »Und keine Lust. Ich
kann mich noch gut daran erinnern, wie hier riesige Papierstapel drauflagen.«
»Verkehrssünder?«, frage ich.
»Nein. Mein Großvater war Viehhändler in Krewinkel und ist an diesem
Tisch abends beim Bier ganz gemütlich seine Papiere durchgegangen; damals gab
es noch keine Computer.«
»Der Tisch ist von deinem Großvater?«
»Ja, den hat er von seinem Vater geerbt. Die Eckbank da drüben in
der Küche, die hat mein Großvater in den Fünfzigerjahren selbst gebaut.«
Er steht am Kühlschrank in der angrenzenden Küche. Ich stehe auf und
setze mich auf die Eckbank, über der ein Lampengebilde hängt, dessen vergilbtes
Glas mir verrät, dass es bestimmt schon Mahlzeiten vieler Generationen
beleuchtet hat.
»Ich habe leider keinen Whisky da«, sagt er, ohne mich anzusehen.
»Auch keinen Wein. Nur Milch. Und zwei Flaschen Bier.«
»Das ist doch schön, für jeden eine«, gebe ich zurück. Er öffnet
eine Flasche und reicht sie mir.
»Glas ist nicht nötig«, sage ich schnell, was er mit einem dankbaren
Lächeln quittiert, als er sich ums Eck zu mir setzt, die zweite Flasche öffnet
und mit mir anstößt. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll oder was er schon
weiß.
»Ein schlimmer Tag«, sagt er nach einer Weile. »Ich habe dich vorhin
angerufen, aber du bist nicht an dein Handy gegangen.«
»Das haben mir deine Kollegen abgenommen«, murmele ich. »Hans-Peter
ist tot.«
»Ich weiß. Bin grad erst vom Dienst zurück. Es tut mir sehr leid,
Katja.«
»Für Gudrun ist es besonders schlimm.«
»Und wie geht es dir dabei?«
Ich hebe die Schultern. »Kann ich nicht sagen. Bin innerlich
irgendwie taub, wenn das das richtige Wort
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