Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
»du
bist noch weniger fotogen als ich. Und das können wir uns jetzt nicht leisten.«
Ich renne über die Straße in den Wald hinein. Wieder klingelt mein
Handy. Will sie etwa absagen? Das lasse ich mir nicht bieten. Sie kann noch
nicht auf dem Weg zurück nach Kronenburg sein. Ist sie auch nicht; vor dem
Hochwasserbehälter Auf dem Gericht steht Hans-Peters
Sportwagen. Ich atme tief aus und entschleunige meinen Schritt, als ich links
in den Waldweg einbiege. Wenn sie weggeht, wird sie mir entgegenkommen.
Wieder klingelt mein Handy. Diesmal gehe ich dran.
»Ja?«
»Wir haben die Obduktionsergebnisse.«
Marcels Stimme klingt verzerrt und sehr fremd.
»Und?«, frage ich.
»Du weißt doch noch, woran Mutter Agnes gestorben ist?«
»Ja, natürlich. Am Eibengift.«
»Das heißt Taxin.«
»Dann eben Taxin.« Ich bin jetzt nah am großen Bunker. Will nach
rechts in den Wald, und da sehe ich plötzlich eine Bewegung an einer anderen
Stelle. Und langes kastanienbraunes Haar. Genau dort, wo wir Mutter Agnes
gefunden haben.
»Mach schnell«, flüstere ich, »was willst du mir sagen?«
»Dass dieses Taxin auch Herrn Hans-Peter Kellenhusen getötet hat.
Und ebenso im Körper von Herrn Holger Eichhorn nachgewiesen wurde. Ist noch
nicht sicher, ob das seinen Tod herbeigeführt hat.« Schrecklich, wie seine
laute Stimme mein Ohr malträtiert.
Die lange schlanke Gestalt zwischen den Fichtenstämmen lässt sich
neben der Eibe auf die Knie nieder. Unglaublich graziös. Ich sehe fasziniert
hin.
»Katja?«
»Ja?«
»Dein Hans-Peter ist wirklich ermordet worden.«
»Du, ich kann jetzt gerade nicht.«
»Was ist los, Katja, wo bist du?«
»Ich treffe Gaby. Wir reden später.«
Ich kappe die Verbindung und gehe auf die kniende Gestalt zu.
Sie hat mir den Rücken zugewandt. Knackendes Unterholz sowie das
Rascheln von Farn und Herbstlaub kündigen mein Herannahen an. Ich bleibe ein
paar Schritte hinter ihr stehen.
»Hier hat die alte Frau gelegen«, sagt sie mit ihrer leisen Stimme,
ohne sich umzudrehen. »Und mit dem Tod gerungen. War zu schwach, um die Beeren
aufzubrechen und den Samen zu zerkauen. Kein Tier hätte man so leiden lassen.
Es war furchtbar.«
Sie steht sehr langsam auf. Ohne die Hände zu Hilfe zu nehmen. Dann
dreht sie sich zu mir um. Ich starre auf die große weiße Lilie in ihrer Hand.
Und glaube jetzt zu wissen, wer auch den welken Herbststrauß deponiert hat.
»Ich habe ihr geholfen. Sie war so dankbar für meine Hilfe, Katja,
ich darf Sie doch so nennen?«
»Natürlich, Gaby«, sage ich. Mein Mund ist wie ausgedörrt.
Sie wendet sich wieder um und arrangiert die Lilie sorgsam im
Rosengebinde von Hein und Jupp.
»Und jetzt«, sagt sie, »sollten wir endlich miteinander reden,
finden Sie nicht auch?«
Achtes Gericht
Kehrer Brotzeit
Kleine Würstchen an Gemüse-Weingelée-Törtchen mit Streifen von
Kräuterschinken aus eigener Räucherei
»Wie haben Sie ihr geholfen?« Selbst in meinen eigenen
Ohren klingt meine Stimme brüchig.
Wieder klingelt mein Handy. Ich greife in die Jackentasche und taste
nach dem Aus-Knopf. Marcel kann mir später alles über die Toten erzählen; ich
brauche jetzt Informationen von den Lebenden.
Gaby richtet sich auf und wendet sich mir wieder zu. Nicht einmal
das Dach des Waldes dämpft das grüne Leuchten ihrer Augen, das in seltsamem
Kontrast zu der makellos weißen Haut und dem langen Dunkelhaar steht. Ich kann
ihr nur kurz in das schwarz umrandete Grün blicken. Als hätte ich eine
unziemliche Frage gestellt und müsste schuldbewusst zu Boden sehen.
Ihre unerwartete Offenbarung hält mich auch davon ab, auf sie zuzutreten.
Als wäre sie ein Todesengel, den ich auf Abstand zu halten habe, da meine Zeit
noch nicht abgelaufen ist. Todesengel. Was hat mir
Marcel soeben mitgeteilt? Das Eibengift soll Hans-Peter getötet haben? Und
vielleicht auch Herrn Eichhorn? Oder habe ich den Anruf nur geträumt? In meinem
Kopf geht alles drunter und drüber; es fällt mir schwer, Gedanken aneinanderzureihen
oder auch nur einen einzigen länger als den Bruchteil einer Sekunde
festzuhalten.
Angewurzelt wie die Eibe, bleibe ich mit gesenktem Haupt ein paar
Schritte vor ihr stehen, vor Gaby von Krump-Kellenhusen, dem letzten Menschen,
den Mutter Agnes gesehen hat. Ich mühe mich um Sammlung. Auch Gaby macht
keinerlei Anstalten, mir zur Begrüßung die Hand zu reichen. Sie hatte es doch
so eilig, nach Kronenburg zurückzukehren, aber mit ihrer Antwort lässt sie sich
Zeit.
»Ihre
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