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Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)

Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)

Titel: Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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an der Mutter Agnes
gelegen hat. Ich sage nichts, warte einfach, bis sie sich wieder gesammelt hat
und weitersprechen kann.
    »Haben Sie schon einmal einen uralten Menschen weinen sehen? Das
greift Ihnen mehr ans Herz als jede Kinderträne. Wir haben mit ihr geweint. Und
dann hat ihr Cora die Nadeln zerkleinert und sie ihr in den Mund gesteckt.
Während ich den dünnen alten Körper in meinen Armen gehalten und ihm Wasser
gegeben habe.« Ein Zittern fährt ihr durch den Leib.
    »Jetzt wissen Sie alles«, haucht sie hinzu.
    »Nicht ganz«, widerspreche ich leise. »Weshalb war Cora hier?«
    »Das ist eine lange Geschichte und hat mit der alten Frau nichts zu
tun. Nur mit meiner Sorge um Cora. Ich hatte mich mit ihr am Bunker getroffen.
Das war schon vor Längerem so verabredet. Und Sie treffe ich hier nur, weil Sie
mir sagen können, wo Cora jetzt steckt. Ich muss das wissen.«
    Die plötzliche Schärfe in ihrer Stimme lässt mich zusammenzucken.
Jetzt glaube ich zu wissen, weshalb mir Gaby von Krump-Kellenhusen irgendwie
bekannt vorkommt.
    »Cora ist Ihre Schwester«, stelle ich fest und fahnde im halb hinter
Haaren verborgenen Gesicht nach Ähnlichkeiten. Die Nase ist genauso klein, auch
wenn sie natürlich keinen Igelpunkt aufweist. Der Mund scheint breiter zu sein,
aber das könnte durch den großzügig aufgetragenen violetten Lippenstift
täuschen. Und sie ist etwa einen halben Kopf größer.
    »Nicht ganz«, antwortet Gaby, die beiden Worte wie einen Seufzer
ausstoßend, »aber wir sind nah verwandt, das ist schon richtig. Sie liegt mir
sehr am Herzen. Ich möchte und muss sie schützen, wie schon so oft in ihrem
Leben.«
    »Wovor?«
    »Vor sich selbst. Cora ist hochgradig gefährdet. Vielleicht ist auch
Ihnen aufgefallen, welche Sensibilität sich in ihrem zähen Körper und hinter
der taffen Maske verbirgt. Rein klinisch gesehen, ist sie die klassische
Borderlinerin. Die nur überleben kann, weil sie so lebt, wie sie lebt. Was ihr
in den labilen Phasen auch nicht immer gut glückt, und dann braucht sie mich.
Niemand kennt sie so gut wie ich, auch wenn mir ihr Lebensstil fremd ist. Aber das,
was sie hier getan hat, kann sie nicht einfach so wegstecken, selbst wenn sie
es auf ihre Weise versucht. Sie hielt es für unser Kismet, die sterbende Frau
aufzufinden. Wir seien es unserem eigenen Karma schuldig gewesen, ihr über die
Schwelle zu helfen. Aber …«
    Sie bricht ihren dahingehauchten Monolog ab, scheint den Faden
verloren zu haben. Vielleicht befürchtet sie auch, mir zu viel zu erzählen.
Schließlich bin ich nicht gerade die beste Freundin, der sie das Herz ausschütten
will.
    »Cora wirkte auf mich sehr stark, geradezu autark, in sich ruhend
und ausgesprochen fröhlich«, wende ich ein und schiebe die Erinnerung an die
zitternde Frau mit dem Kleinkind auf dem Arm zur Seite.
    »Cora spielt die starke Frau«, fährt Gaby
leise fort. »Sie ist viel schwächer, als sie wirkt.«
    »Warum haben Sie dann zugelassen, dass sie die alte Frau tötet?«,
frage ich. »Warum haben Sie sich ihr gerade in dieser Sache untergeordnet und
mitgemacht?«
    »Weil Cora von Leben und Tod mehr versteht«, antwortet Gaby. »Auch
wenn sie die Schicksalsschläge ihres eigenen Lebens nie aufgearbeitet, sondern
mit esoterischem Müll zugeschüttet hat. Sie ist ein Drifter, wissen Sie, was
das ist?«
    »Nein.«
    »Eine Vagabundin. Die das Glück im Hier und Jetzt und nur da sucht.
Die heute dies denkt, morgen das Gegenteil und übermorgen gar nichts mehr. Die
keinen Ehrgeiz hat, keine Bedürfnisse, keine Eitelkeit, kein Gefühl für Verantwortung …«
    »Das stimmt nicht«, unterbreche ich, an Vinzenz und Coras Angst vor
den Kampfhundgenen von Linus denkend.
    »… gegenüber sich selbst«, setzt Gaby fort. »Dass sie nicht längst
verhungert ist, grenzt an ein Wunder. Irgendwie findet sie immer wieder Leute,
die sie durchfüttern. Meistens schräge Esoteriker, auf die wirkt sie wie ein
Magnet. Egal, jahrelang höre ich nichts von ihr; dann taucht sie aus dem
Irgendwo plötzlich auf und hat sich in irgendwas verheddert, aus dem ich sie
irgendwie herauslösen soll. Durch Zufall, an den sie natürlich nicht glaubt,
sind wir auf das Sterbelager der Greisin gestoßen. Da konnten wir nicht über
den eigentlichen Grund unserer Begegnung sprechen …«
    »Und was war das?«, werfe ich schnell dazwischen.
    Mit einer Handbewegung wischt Gaby meine Frage weg und fährt fort:
»Ich habe große Sorge, dass sie etwas Furchtbares getan hat.

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