Pendergast 02 - Attic - Gefahr aus der Tiefe
skeptisch an und seufzte tief. »Wenn Sie meinen. Ich für meinen Teil werde jedenfalls jetzt nach Hause fahren. Morgen muß ich zu meiner jährlichen Vorsorgeuntersuchung ins Krankenhaus, und da will ich ausgeschlafen sein. Bis Mittwoch dann, meine Liebe.«
Marge sagte auf Wiedersehen und sah zu, wie Frock in seinem Rollstuhl zur Tür fuhr. Langsam wurde ihr klar, daß der berühmte Wissenschaftler es nicht mochte, wenn man ihm widersprach. Als sie noch eine schüchterne und nachgiebige Doktorandin gewesen war, hatte Frock sich ihr gegenüber stets charmant und zuvorkommend verhalten. Jetzt aber, als Professor im Ruhestand und sie selbst als Kuratorin mit eigenem Forschungsgebiet, schien er manchmal nicht allzu glücklich über ihr inzwischen gewonnenes Selbstbewußtsein zu sein.
Margo nahm den Objektträger mit der winzigen Pflanzenfaser und trug ihn hinüber zur Gefrierspaltmaschine, in der die Faser, in einen kleinen Plastikblock eingeschlossen, bis knapp oberhalb des absoluten Nullpunktes heruntergekühlt und dann in zwei Teile gespalten wurde. Diesen Querschnitt wollte sie anschließend unter dem Rasterelektmnenmikroskop betrachten. Frock hatte natürlich recht: Es gab eigentlich keinen logischen Grund, die Faser auf diese Weise zu untersuchen.
Auch wenn Margo sich einredete, damit einer unbestimmten Ahnung zu folgen, tat sie es eigentlich nur, weil ihr sonst nichts mehr einfiel.
Nach einer Weile signalisierte ein grünes Licht an der Kältemaschine, daß der Gefrierprozeß abgeschlossen war. Mittels einer elektronisch gesteuerten Transportwiege beförderte Marge den kleinen Plastikblock auf die Spaltbühne, wo ein Diamantmesser ihn mit einem leisen Klicken in zwei Teile zerlegte.
Margo nahm eines und legte es in das Rasterelektronenmikroskop. Nachdem sie den Elektronenstrahl und die Bildkontrollen sorgfältig eingestellt hatte, erschien ein scharfes Schwarzweißbild auf dem Monitor des Mikroskops.
Was sie sah, ließ ihr das Blut in den Adern stocken.
Die Faser war geradezu übersättigt mit dem Reovirus, das Kawakita vor achtzehn Monaten mit Hilfe seines Extrapolator-Programms entdeckt hatte. Die sechseckigen Partikel steckten in allen Zellen der Faser, rings herum hatten sich große Hohlräume gebildet, die eine Art kristallisiertes Sekret zu enthalten schienen. Dieses Sekret mußte von dem Reovirus stammen.
Margo atmete tief durch. Die hohe Konzentration des Virus und das Sekret konnten eigentlich nur eines bedeuten: Die Pflanze lilicea mbwunensis war lediglich ein Wirtsorganismus für das Virus, das seinerseits die Droge hervorbrachte, nach der D'Agosta gesucht hatte. Jetzt wußte Margo auch, warum sich in keinem ihrer Tests eine psychoaktive Substanz hatte nachweisen lassen. Die Droge war das Sekret, das in den kleinen, Vakuolen genannten Hohlräumen der Fasern eingeschlossen war.
Nun gut, dachte Margo. Was sie jetzt zu tun hatte, war ziemlich einfach. Sie mußte das Reovirus isolieren, auf einem Medium heranzüchten und herausfinden, was für eine Droge es produzierte.
Und genau das mußte Kawakita auch gemacht haben.
Vielleicht hatte er ja gar nicht versucht, die Pflanze gentechnisch zu verändern, sondern das Virus. Und wenn das der Fall war, dann ...
Margo dachte angestrengt nach. Langsam schienen sich die Puzzlestücke zusammenzufügen: ihre alten und neuen Untersuchungen; das Virus und seine Wirtspflanze; das Monster und seine Sucht nach den Pflanzenfasern. Aber all das erklärte weder, weshalb Kawakita das Museum verlassen und sich ein geheimes Labor Aufgebaut hatte, noch wie die Mbwun-Kreatur über viele tausend Kilometer vom Amazonas nach New York gekommen war und sich schließlich die Kisten der gescheiterten Whittlesey-Expedition gesucht hatte ...
Whittlesey!
Margo sprang so hastig auf, daß sie dabei den Stuhl umwarf.
Vor lauter Schreck preßte sie sich eine Hand auf den Mund.
Jetzt war ihr auf einmal alles klar.
33
Als Smithback diesmal die Wohnung im achtzehnten Stock von Central Park South Nummer neun betrat, fiel ihm sofort auf, daß die Fenster des großen Wohnzimmers alle weit geöffnet waren. Heller Sonnenschein strömte herein und tauchte den Raum mit seinen Sofas und Rosenholztischen, der dem Journalisten bei seinem ersten Besuch wie das Empfangszimmer eines Beerdigungsinstituts vorgekommen war, in ein warmes, angenehmes Licht.
Ein Dienstmädchen führte Smithback hinaus auf den Balkon, wo Anette Wisher an einem Tisch mit Glasplatte saß. Sie trug einen modischen
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