Pendergast 02 - Attic - Gefahr aus der Tiefe
Zweifel daran ließ, wie dumm ihr Waxies Frage schien. »Hier sind sie sicher vor Regen und Wind, und im Winter ist es warm. Die einzigen Leute, vor denen sie da unten Angst haben müssen, sind die anderen Maulwürfe.«
»Wann wurde diese untere Ebene denn zum letztenmal von Obdachlosen gesäubert?« fragte Waxie.
»Dort unten finden keine Säuberungsaktionen statt, Sir.«
»Und warum nicht'«
»Weil man die Leute nicht finden kann«, entgegnete Hayward nach einer längeren Pause. »Die Maulwürfe können im Dunkeln phantastisch sehen, wir aber nicht. Man hört etwas, und noch bevor man sich umgedreht hat, sind sie schon verschwunden. Man kann sie eigentlich nur mit Hunden aufstöbern, die auf den Geruch von Leichen trainiert sind. Aber auch das ist nicht empfehlenswert, denn dort unten geht es gefährlich zu.
Nicht alle Maulwürfe suchen nur Schutz in den tieferen Ebenen. Einige von ihnen sind auf der Flucht vor der Polizei, und manche sind sogar Killer, die im Untergrund ihren Opfern nachstellen.«
»Was sagen Sie eigentlich zu diesem Artikel in der Post ?« wollte D'Agosta wissen. »Da steht, daß es eine Art organisierte Gemeinde im Untergrund geben soll. Übermäßig gefährlich klang das allerdings nicht«
»Unter dem Central Park ist das auch so, Lieutenant«, antwortete Hayward. »Aber hier befinden wir uns unter der West Side. Es gibt im Untergrund harmlose und gefährliche Gegenden, so wie an der Oberfläche auch. Und vergessen Sie nicht, daß in dem Artikel auch etwas über Kannibalen stand«, fügte sie mit einem zuckersüßen Lächeln an.
Waxie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, klappte ihn dann aber wieder zu und schluckte hörbar.
Schweigend begannen sie, die Schienen entlangzugehen.
Nach ein paar Schritten bemerkte D'Agosta, daß er, ohne es zu wollen, die Hand an den Griff seiner Smith & Wesson, Modell 4946, Double Action, gelegt hatte. Vor ein paar Jahren hatte man bei der Polizei über die Einführung einer halbautomatischen Neun-Millimeter-Pistole nachgedacht, sie aber dann doch nicht durchgeführt. Jetzt war D'Agosta plötzlich froh, daß er noch seinen bewährten alten Colt hatte.
Schließlich erreichten sie die Treppe. Hayward zog eine schief in ihren Angeln hängende Stahltür auf und trat einen Schritt zur Seite. D'Agosta steckte den Kopf hinein. Der scharfe Gestank nach Ammoniak biß ihn in der Nase und trieb ihm Tränen in die Augen.
»Ich gehe als erste, Lieutenant«, sagte Hayward.
D'Agosta machte ihr bereitwillig Platz.
Eine mit Kalk überkrustete Treppe führte nach unten bis zu einem Zwischenabsatz, von wo sie in die andere Richtung lief.
D'Agosta spürte, wie seine Augen heftiger tränten, weil der Gestank immer beißender wurde.
»Was stinkt denn hier so, verdammt noch mal?« fragte er.
»Pisse«, entgegnete Hayward ungerührt. »Hauptsächlich jedenfalls. Zusammen mit ein paar anderen Sachen, die Ihnen bestimmt nicht gefallen würden.«
Waxies Keuchen hinter ihnen wurde deutlich stärker.
Unten angelangt, traten sie durch ein Loch in einer Mauer hinaus in einen dunklen, feuchten Raum. Hayward leuchtete mit ihrer Taschenlampe herum, und D'Agosta sah, daß sie sich am Ende eines alten Tunnels befanden. Allerdings gab es hier keine Schienen, nur festgetrampelten Lehm mit Öl- und Wasserlachen und den verkohlten Resten kleiner Lagerfeuer. Dazwischen lag überall Müll verstreut: alte Zeitungen, eine zerrissene Unterhose, ein kaputter Schuh, eine erst vor kurzem vollgekackte Plastikwindel.
D'Agosta hörte, wie Waxie hinter ihm schwer atmete, und fragte sich, weshalb der Captain auf einmal mit dem Meckern aufgehört hatte. Vermutlich liegt es an dem Gestank, dachte er.
Hayward ging auf einen Gang am Ende des Tunnels zu. »Da drinnen hat man die dritte Leiche gefunden«, erklärte sie. »Wir sollten hier nahe beieinander bleiben. Und passen Sie auf, daß Sie kein Rohr über die Rübe kriegen.«
»Wie bitte?« fragte D'Agosta.
»Hier kommt es öfter mal vor, daß jemand aus der Dunkelheit heraus einem ein Eisenrohr über den Kopf schlägt«
»Aber ich sehe niemanden«, meinte D'Agosta.
»Sie sind trotzdem da, glauben Sie mir.«
Waxies Keuchen klang noch angestrengter.
Langsam stolperten sie den Gang entlang, wobei Hayward immer wieder die Wände ableuchtete. In Abständen von sechs, sieben Metern waren rechteckige Nischen in den Fels getrieben, die früher den Eisenbahnarbeitern als Arbeits- und Vorratsräume gedient hatten. In vielen lagen schmutzige
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