Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
die beste Idee, die der Bürgermeister haben konnte.
»Ja, Sir.«
»O’Shaugnessy handelt doch nicht auf eigene Faust, oder etwa doch, Custer? Könnte es sein, dass er sich auf die Seite des FBI-Agent geschlagen hat, dem er eigentlich auf die Finger sehen soll?«
»Nein, Sir, er ist ein durch und durch loyaler Officer, der sich strikt an meine Anweisungen hält. Ich habe ihn beauftragt, den Bericht anzufordern.«
»Das wundert mich ein bisschen, Custer. Ihnen dürfte doch klar sein, dass jeder sich von einem Bericht, wenn er sich einmal in Ihren Akten befindet, mühelos eine Kopie machen kann. Und die landet dann irgendwann bei der
New York Times.«
»Tut mir Leid, Sir, das habe ich nicht bedacht.«
»Ich möchte, dass die Kopie des Berichts unverzüglich an mich geschickt wird. Per Kurier. In Ihrer Dienststelle bleibt keine Kopie, ist das klar?«
»Ja, Sir.«
Verdammt, wie sollte er das machen? Er musste sich den Bericht von O’Shaugnessy geben lassen. Das fehlte ihm gerade noch, dass er bei dem Mistkerl kleine Brötchen backen musste!
»Ich habe das komische Gefühl, Custer, dass Sie die Situationnicht richtig einschätzen. Bei der Sache an der Catherine Street geht’s nicht um irgendwelche polizeilichen Ermittlungen. Das ist ein Fall für Historiker. Der Bericht des Gerichtsmediziners gehört streng genommen Moegen-Fairhaven, die Firma hat sämtliche Kosten übernommen, einschließlich der Beerdigungskosten. Außerdem wurden die Knochen auf privatem Gelände gefunden. Für uns ist der Fall abgeschlossen. Können Sie mir so weit folgen?«
»Ja, Sir.«
»Dann hören Sie mir jetzt genau zu: Moegen-Fairhaven hat einen kurzen Draht zum Bürgermeister. Und Mr. Fairhaven scheut weder Mühe noch Kosten, um die Wiederwahl des Bürgermeisters zu unterstützen. Aber wenn da jemand dazwischenpfuscht, könnte es sein, dass Mr. Fairhaven sich nicht mehr ganz so enthusiastisch für Montefioris Wiederwahl einsetzt. Es könnte sogar sein, dass er auf den Gedanken kommt, Montefioris Mitbewerber um das Bürgermeisteramt zu unterstützen.«
»Ich verstehe, Sir.«
»Gut. Wie Sie wissen, haben wir es jetzt in New York mit einem Psychopathen zu tun, der die Straßen unsicher macht, diesem so genannten ›Chirurgen‹. Ich wüsste es sehr zu schätzen, wenn Sie sich mit aller Kraft
darauf
konzentrieren, Custer. Schönes Wochenende!«
Ein Klicken, die Leitung war tot. Custer saß wie vom Donner gerührt da, er zitterte am ganzen Leib – und da kamen bei seiner Figur etliche Kilo zusammen. Als er sich etwas beruhigt hatte, drückte er die Gegensprechanlage.
»Noyes, holen Sie mir sofort O’Shaugnessy an die Strippe. Über Funk, Notruf oder Handy, zu Hause oder unterwegs, das ist mir schnurzegal.«
»Er hat heute seinen freien Tag«, wandte Noyes ein.
»Es schert mich einen feuchten Matsch, was er hat. Ich will mit ihm reden, und zwar ein bisschen plötzlich!«
»Ja, Sir«, schnarrte Noyes beflissen.
6
Nora griff zum Spachtel, kauerte sich auf den Boden und versuchte, einen der alten Ziegelsteine aus dem Boden zu heben. Er war mit Wasser voll gesogen und zerbröckelte sofort. Sie schob die Bruchstücke beiseite und nahm die danebenliegenden Steine heraus, einen nach dem anderen. Sie war zum Umfallen müde – kein Wunder, nachdem sie die ganze Nacht durchgearbeitet und die Grube auf sechs Meter im Quadrat erweitert hatten. Aber obwohl O’Shaugnessy natürlich bereit gewesen wäre, sie abzulösen, wollte sie jetzt, in der aufregendsten und spannendsten Phase, auf keinen Fall schlappmachen.
Mittlerweile waren sie nicht mehr zu zweit, Pendergast hatte sich zu ihnen gesellt. Sobald ihm Noras Fortschritte zu Ohren gekommen waren, hatte er sich, allen Protesten der Ärzte und Schwestern zum Trotz, vom Krankenhaus in die Doyers Street geschleppt. Tätige Hilfe konnte er, so schwach wie er war, noch nicht anbieten; er lag mit geschlossenen Augen und vor der Brust verschränkten Armen die meiste Zeit über reglos und leichenblass auf einer orthopädischen Matratze, die sein Chauffeur Proctor ihm besorgt hatte. Um zu demonstrieren, dass er sich auf längere Zeit in der Tiefgeschosswohnung einnisten wolle, hatte er sich von ihm auch etliche Utensilien aus dem Dakota holen lassen: einen kleinen Tisch, eine Tiffanylampe, einige Medikamente und Salben, ein Päckchen mit französischen Schokoladetäfelchen und einen Stapel Bücher und alte Stadtpläne.
Der Boden unter Lengs ehemaligem Labor war feucht und verströmte einen
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