Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
fauligen Geruch. Nachdem Nora etwa einen Quadratmeter des früheren Bodenbelags entfernt hatte, ging sie dazu über, die nächsten Steine diagonal auszuheben, quer durch die Grube. Was sich auch unter dem früheren Kellerboden verbergen mochte, tief konnte es nicht liegen. Sie waren fast bis zum Grundwasser vorgedrungen.
Plötzlich stieß sie auf etwas Sperriges. Nach ein paar Minuten hektischen Scharrens und Grabens förderte sie einen Schirm zutage. Die erstaunlich gut erhaltene Spannvorrichtung aus Fischbein ließ darauf schließen, dass es ein Schirm aus dem neunzehnten Jahrhundert sein musste. Nora legte behutsam die Umgebung frei, fotografierte das Fundstück, zog es vorsichtig aus dem Boden und platzierte die halb verrotteten Überreste auf einer Plane aus säurefreiem Material.
Ohne die Augen zu öffnen, die Hand nach einem Schokoladetäfelchen ausgestreckt, erkundigte sich Pendergast: »Haben Sie etwas gefunden?«
»Die Reste von einem Regenschirm«, sagte sie und grub weiter. Sie kam jetzt schneller voran, der Boden war lockerer und ein wenig matschig. Gut fünfunddreißig Zentimeter tiefer stieß ihr Spachtel auf etwas Schweres, Massives. Sie griff zum Handbesen und fegte die feuchte Erde weg. Kurz darauf zuckte sie unwillkürlich zurück. Ein Haarkranz. Darunter eine von der Nässe braun gefärbte Schädeldecke.
Sie hörte, wie O’Shaugnessy oben am Rand der Grube scharf die Luft einsog.
Pendergast war sofort hellwach. »Was ist los?«
»Wir sind auf einen Schädel gestoßen.«
»Bitte, graben Sie weiter«, sagte Pendergast. Er schien nicht im Mindesten überrascht zu sein.
Nora legte den Spachtel weg und entfernte die Erde vorsichtig mit dem Handbesen. In ihren Ohren hörte sie ihren eigenen Herzschlag dröhnen. Allmählich kam der Stirnknochen zum Vorschein, dann folgten die mit einer schleimigen Substanz gefüllten Augenhöhlen. Ein ekelhafter Geruch schlug ihr entgegen, sie fing zu würgen an. Das hier war ganz anders als die Exhumierung eines makellos sauberen Anasaziskeletts, das tausend Jahre in trockenem Wüstensand gelegen hat. Als sie den Oberkiefer freilegte, blitzte irgendetwas metallisch auf.
Atemlose Stille. Dann bat Pendergast mit schwacher Stimme: »Beschreiben Sie mir, was Sie sehen.«
»Einen Moment Geduld, bitte«, murmelte Nora, während sie mit dem Besen weiter die Gesichtsknochen freilegte, um sich dann zurückzulehnen und auf den Hacken abzustützen.
»Also gut. Wir haben es mit dem Schädel eines älteren Mannes zu tun. Ich sehe Haarreste und eine weiche Masse, die sich möglicherweise dadurch erklärt, dass der Schädel lange Zeit in einer luftdicht abgeschlossenen Schicht gelegen hat. Direkt unter dem Oberkiefer kann ich zwei silberne Zähne ausmachen, die sich etwas nach unten verschoben haben. In der Wangenstruktur sehe ich ein goldenes Brillengestell, eines der Gläser ist lichtundurchlässig geschwärzt.«
»Aha, Sie haben Tinbury McFadden gefunden.« sagte Pendergast und fügte nach einer kurzen Bedenkpause hinzu:
»Wir müssen weitersuchen. Irgendwo werden wir auf die sterblichen Überreste von Lengs Kollegen James Henry Perceval und Dumont Burley stoßen, die ebenfalls dem Bildungszirkel angehört haben. Ihr Unglück war, dass Shottum sie in seine schaurige Entdeckung eingeweiht hat. Der Kreis schließt sich.«
Nora sah zu ihm hoch. »Dazu ist mir heute Nacht beim Graben etwas eingefallen. Als ich Puck gebeten habe, mir Shottums Unterlagen zu zeigen, hat er eine Bemerkung gemacht, der ich damals keine Bedeutung beigemessen habe. Er hat etwas erstaunt geäußert, dass Shottum sich in jüngster Zeit offenbar großen Interesses erfreue. Ich habe mir nichts dabei gedacht, aber später habe ich mich gefragt, wer …« Sie verstummte.
»Wer sich vor uns für Shottums Vermächtnis interessiert hat«, beendete Pendergast an ihrer Stelle den Satz.
Weiter kamen sie nicht, plötzlich wurde heftig am Türknauf gerüttelt. Alle fuhren herum. Irgendjemand versuchte ungeduldig, sich Einlass zu verschaffen, immer wieder. Dann wurde wieder gerüttelt und ungestümt geklopft.
O’Shaugnessys Hand fuhr instinktiv zur Dienstwaffe. »Wer kann das sein?«
Eine schrille Stimme klärte das Rätsel auf. »Was gehen da drin vor? Was stinken so? Was Sie treiben in Apartment? Machen Tür auf!«
»Das ist Mrs. Lee«, flüsterte Nora und stemmte sich hoch, »die Vermieterin.«
Pendergast lag reglos auf der Matratze. Einmal öffnete er kurz die Lider, dann schlossen sie sich wieder.
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