Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
durchquerte einen kurzen unterirdischen Gang und kam schließlich in ein breites Kellergewölbe. Der Boden bestand aus gestampfter Erde, die Wände und die gewölbte Decke waren aus Ziegelstein. An den Wänden waren in regelmäßigen Abständen Halterungen angebracht, in denen flackernde Fackeln brannten, deren Qualm barmherzig den Geruch von moderiger Erde, feuchten Steinwänden und Tod übertönte.
Auf beiden Seiten des Gewölbes reihten sich Gräber und Krypten aneinander, manche mit Marmor, andere schlicht mit Granit verschlossen, in der Mitte verlief ein schmaler, aus Ziegelsteinen gefügter Pfad. Einige wenige Grabstätten waren mit Türmchen und Ranken verziert, aber bei den meisten Gräbern hatte man sich mit einer schlichten Steinplatte begnügt. Pendergast schlenderte langsam den Pfad hinunter, er wollte sich Zeit lassen und die vertrauten Namen auf den Grabplatten lesen.
Er wusste nicht, wozu die Mönche das unterirdische Gewölbe benutzt hatten, aber den Pendergasts hatte es seit nahezu zweihundert Jahren als letzte Ruhestätte für die Verstorbenen der Familie gedient, es war zu ihrer Nekropole geworden. Hier ruhten ihre Toten – die in Ungnade gefallenen Aristokraten aus der französischen Linie neben braven Bürgern und denen, die in der Familie als schwarze Schafe galten. Pendergast ging, die Hände auf dem Rücken verschränkt, an den Grabplatten entlang, nur hin und wieder, wenn er auf einen bekannten Namen stieß, blieb er kurz stehen und starrte auf die Inschrift. Da ruhte Henry Pendergast de Mousqueton, ein im siebzehnten Jahrhundert weithin bekannter Quacksalber, der als Zauberkünstler und Komödiant durchs Land getingelt war, bei Bedarf Zähne gezogen und hauptsächlich vom Erlös seiner aus obskuren Kräutern gebrauten Heiltränke gelebt hatte. Dort, in dem mit Türmchen geschmückten Mausoleum, lag Eduard Pendergast, der im achtzehnten Jahrhundert als angesehener Arzt in der Harley Street in Londonpraktiziert hatte. Einige Schritte weiter war Comstock Pendergast zur letzten Ruhe gebettet, ein berühmter Hypnotiseur, dem magische Fähigkeiten nachgesagt wurden und der Harry Houdinis Lehrmeister gewesen war.
Pendergast ging weiter, vorbei an den Gräbern von Künstlern und Mördern, Varietétänzern und Violinvirtuosen. Zu guter Letzt blieb er vor einer Grabstätte stehen, die alle anderen an Größe und Pracht übertraf. In die weiße Marmorplatte war das Bild eines Hauses eingemeißelt, unschwer als das später niedergebrannte Anwesen der Pendergasts an der Dauphine Street in New Orleans zu erkennen. Es war das Grabmal seines Ururgroßvaters Hezekiah Pendergast.
Als Hezekiah erwachsen wurde, waren die Pendergasts nahezu ruiniert, sie hatten ihr ganzes Vermögen verloren. Seine Zukunftsaussichten waren düster, es schien ihm bestimmt, mittellos durchs Leben zu gehen. Aber er hatte schon in jungen Jahren große Ambitionen. Nachdem er sich einige Jahre mit dem Verkauf von Schlangenöl durchgeschlagen hatte, schloss er sich einer durchs Land reisenden Medizinshow an und erwarb sich den Ruf, ein begnadeter Jünger des großen Hippokrates zu sein. Seine Medikamente galten allenthalben als wahre Wundermittel gegen alle Gebrechen und Krankheiten. Sein Auftritt in der Show lag zwischen dem von Al-Ghazi, dem Schlangenmenschen, und Harry N. Parr, dem Hundedresseur. Das Medikament, das er in der Show feilbot, fand reißenden Absatz, obwohl er für die Flasche fünf Dollar berechnete. So lag es nahe, dass er irgendwann eine eigene Wandershow gründete, und mit Hilfe eines ausgeklügelten Marketings wurden sein Allzweckelixier und das wenig später auf den Markt gebrachte Drüsenstärkungsmittel zu den ersten patentierten Medikamenten auf dem amerikanischen Markt. Durch seine mit Raffgier gepaarte Geschäftstüchtigkeit scheffelte Hezekiah mehr Geld, als er sich je erträumt hatte.
Aber schon ein Jahr nach der Einführung des Allzweckelixiersmachten hässliche Gerüchte die Runde. Man erzählte sich hinter vorgehaltener Hand von Fällen von Schwachsinn, Missgeburten und an Schwindsucht Gestorbenen. Ärzte protestierten gegen den Verkauf dieses obskuren Medikaments und behaupteten, es mache süchtig und schade dem Gehirn. Dennoch nahm der Umsatz stetig zu, Hezekiah Pendergast konnte sogar eine neue, speziell für Babys entwickelte Mixtur auf dem Markt platzieren, die er mit dem Slogan »Macht garantiert jedes Kind friedlich« anpries. Aber bald nahm ein Reporter des Magazins
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