Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
dunklen, in den rohen Stein gehauenen Kellerflur ein. Sie brauchte fünf Minuten, um das Labyrinth aus verwinkelten, engen Fluren und feuchten Räumen zu erkunden. Die Orientierung war trotz der Stablampe schwierig, sie ertappte sich ein paar Mal dabei, dass sie im Kreis gelaufen war. Irgendwann kam sie an dem bei dem Sturz in die Tiefe zerschmetterten Lastenaufzug vorbei: ein grässlicher Schock, O’Shaugnessys Leiche darin liegen zu sehen. Schließlich stieß sie auf eine massive, verschlossene Stahltür, die der Lage nach möglicherweise nach draußen führte. Pendergast hätte das Schloss knacken können, ging ihr durch den Kopf, aber auf ihn konnte sie ihre Hoffnung diesmal nicht setzen.
Und so kehrte sie entmutigt in den Operationsraum zurück. Wenn es einen Weg gab, der aus dem Keller in den Garten oder zur Zufahrt führte, dann lag er so versteckt, dass sie ihn nicht gefunden hatte. Ohne Pendergast waren sie in dem alten Haus am Riverside Drive gefangen.
Sie ging zum Operationstisch und fuhr Smithback liebevoll über das verklebte Wuschelhaar. Wieder fiel ihr Blick auf die steinerne Wendeltreppe, die durch die offene Wandtür in das pechschwarze tiefer gelegene Kellergewölbe führte. Auf einmal wurde ihr bewusst, dass sich dort unten seit geraumer Zeit – seit dem zweiten Schuss – nichts mehr gerührt hatte. Was mochte sich dort abgespielt haben? Ob Pendergast …
»Nora?«
Smithbacks Stimme war nur ein schwacher Hauch. Nora starrte ihn ungläubig an. Er hatte die Augen geöffnet, sein blasses Gesicht war von Schmerzen gezeichnet.
»Bill!«, schrie sie atemlos und fasste hastig nach seinen Händen. »Gott sei Dank!«
»Das wird langsam langweilig«, murmelte er mit kraftloser Stimme.
Redete er im Delirium? »Was sagst du?«
»Dass ich verletzt aufwache und du dich um mich kümmerst. Genau wie in Utah, erinnerst du dich? Das dürfen wir nicht einreißen lassen.« Er versuchte zu lächeln, aber die Schmerzen ließen eine Grimasse daraus werden.
»Bill, du darfst nicht reden.« Sie streichelte ihm die Wange.
»Es wird alles gut. Wir holen dich hier raus. Ich werde einen Ausgang …«
Aber da war er schon wieder von barmherziger Bewusstlosigkeit eingehüllt.
Sie sah auf die Monitore und verspürte eine Welle grenzenloser Erleichterung. Alle Werte hatten sich verbessert, zumindest ein bisschen. Und aus dem Beutel tropfte stetig die lebensrettende Salzlösung in seine Vene. Er würde es schaffen – eine Aussicht, die zum ersten Mal nicht nur von Hoffnungen, sondern fast schon von Gewissheit genährt wurde.
Und in diesem Moment hörte sie den Schrei.
Er kam aus Richtung der Steintreppe. Obwohl er gedämpft und verzerrt nach oben drang, war es der angsteinflößendste, markerschütterndste Schrei, den sie je vernommen hatte. Verwundete Tiere schreien so, anfangs schrill jaulend, bis der Schrei in Winseln überging und schließlich in keuchenden Atemzügen erstickte. Eine Minute lang irrte das Echo durch das finstere Kellergewölbe, dann breitete sich gespenstische Stille aus.
Nora starrte auf das Loch in der Wand. Was war passiert? War es Pendergast, der so gequält geschrien hatte?
Wenn Pendergast verletzt war, musste sie ihm helfen. Schon deshalb, weil nur er das Schloss der Stahltür knacken konnte oder, wenn er das nicht schaffte, einen anderen Weg findenwürde. Ohne ihn wusste sie nicht, wie sie Smithback aus dieser Hölle befreien sollte.
Wenn Pendergast allerdings tot war und der andere, der »Chirurg«, ihn überlebt hatte, war die Konfrontation mit ihm früher oder später ohnehin unvermeidlich. Und während sie das dachte, wurde ihr klar, dass sie diese Konfrontation genauso gut von sich aus suchen konnte. Sie würde den Teufel tun, mit flatternden Nerven hier zu sitzen und darauf zu warten, dass der Mann kam, um sich Smithbacks zu entledigen und an seiner Stelle sie in seine Gewalt zu bringen – o nein! Sie suchte sich aus der Schale mit den chirurgischen Bestecken ein Skalpell mit langer Klinge aus und ging – die Stablampe in der einen, das Skalpell in der anderen Hand – auf die Geheimtür zu, hinter der die Stufen in das dunkle Gewölbe führten.
Als die letzte Windung der Steintreppe hinter ihr lag, knipste sie die Lampe aus und blieb, unschlüssig, was sie tun solle, mit klopfendem Herzen stehen. Wenn sie die Lampe wieder einschaltete, verriet der Lichtstrahl, wo sie war und in welche Richtung sie sich bewegte. Falls der
»Chirurg« schon hier unten auf sie lauerte, gab
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