Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
er sie dann retten?«
»Indem er sie auslöschte.«
Nora starrte ihn ungläubig an.
»Das war Lengs großes Ziel«, fuhr Pendergast fort, ohne aufzublicken. »Er wollte die Erde von den Menschen befreien und so die Menschheit vor ihrer eigenen Unzulänglichkeit bewahren. Er hat nach einem zuverlässig tödlichen Gift gesucht, darum hat er all die Chemikalien, Pflanzen und giftigen Tiere gesammelt. Es gab übrigens bereits früher Hinweise auf diese Absicht, denken Sie nur an die giftigen Substanzen, die wir auf den von Ihnen in seinem alten Labor ausgegrabenen Glasscherben gefunden haben! Oder an die griechische Inschrift auf dem Wappen über der Haustür. Ist Ihnen das nicht aufgefallen?«
Nora sah ihn irritiert an.
»Es sind Sokrates’ letzte Worte, bevor er den Schierlingsbecher getrunken hat. ›Lieber Krito, ich schulde Asklepios einen Hahn; vergiss bitte nicht, meine Schuld zu begleichen!‹ Nun, es gab noch einen Hinweis, und den hätte ich schon früher erkennen müssen.« Pendergast beugte sich abermals tiefnach vorn, um eine andere Vene zu verätzen. »Aber der Zusammenhang ist mir erst klar geworden, als ich das Gewölbe mit den Waffen gesehen habe, erst da habe ich seinen Plan begriffen. Es hat ihm nicht genügt, ein zuverlässig tödliches Gift zu finden, er wollte auch ein System entwickeln, mit dem er es über den ganzen Erdball verbreiten konnte. Auf einmal bekamen die Kleidungsstücke, die Waffen, die Zugvögel, die Samen und Sporen, die der Wind über Land und Meer trägt, und all die anderen scheinbar systemlos gesammelten Stücke einen Sinn. Viele Objekte, die er zur Verbreitung des tödlichen Giftes verwenden wollte – wesentlich mehr, als notwendig gewesen wären –, hat er übrigens selber vorsätzlich vergiftet.«
»Mein Gott«, hauchte Nora entsetzt, »was für ein irrsinniger Plan!«
»Und zudem ein sehr anspruchsvoller. Ein Plan, der sich, wie ihm schnell klar wurde, nicht innerhalb der Zeit realisieren ließ, die einem Menschen gewöhnlich gegeben ist. Und darum, nur darum war er so darauf aus, die Formula zur Verlängerung des Lebens zu finden.«
Pendergast legte den Elektrokauter beiseite und sah sich suchend um. »Merkwürdig, ich habe hier unten kein Verbandmaterial gesehen. Nun, ich nehme an, Fairhaven hat keins gebraucht. Würden Sie wohl mal nachsehen, ob Sie Gaze und Pflaster finden? Ich will die Wunden keimfrei abdecken, bis sie fachgerecht versorgt werden können. Sie sehen, ohne Ihre Hilfe komme ich einfach nicht zurecht.«
Nora fand, was er brauchte, und half ihm, die Wunden mit Gaze und Pflaster abzudecken. »Hat Lengs Suche nach einem tödlichen Gift Erfolg gehabt?«
»Nein. Nach dem Zustand seines Labors zu schließen, dürfte er seine Bemühungen um das Jahr 1950 abgebrochen haben.«
»Warum?«
»Das weiß ich nicht«, sagte Pendergast, während er die Austrittswunde an der Elle abdeckte. Seine Miene zeigte wieder die bekümmerten Züge, die Nora schon bei früheren Gelegenheitenbeobachtet hatte. »Wirklich mysteriös. Ich stehe vor einem Rätsel.«
Nora half ihm, das Hemd anzuziehen, dann machte sie nach seinen Anweisungen aus Tüchern eine Schlinge, in die er den verletzten Arm betten konnte. Nachdem er in einen Ärmel des Jacketts geschlüpft war, wandte er sich zu Smithback um. Er las die auf den Monitoren angezeigten Werte, fühlte seinen Puls und ersetzte den schmalen Schlauch, durch den die Salzlösung in Smithbacks Vene tröpfelte, durch den Kolben einer Spritze.
»Das wird ihn in stabilem Zustand halten, bis wir wissen, wie Sie hier rauskommen und den Arzt verständigen können.«
»Ich?«, fragte Nora entsetzt.
»Meine liebe Dr. Kelly, jemand muss ja bei Smithback bleiben.
Der Versuch, ihn gemeinsam hier rauszubringen, wäre ein unverantwortlich hohes Risiko. Was mich angeht, ich fürchte, ich würde mit der Kugel im Bauch und dem Arm in der Schlinge nicht weit kommen. Ganz davon abgesehen, dass ich in meinem Zustand mit Sicherheit nicht rudern kann.«
»Rudern?« Nora sah ihn verdutzt an.
»Sie werden mich gleich verstehen. Aber nun helfen Sie mir bitte erst mal die Stufen hinunter!«
Und so quälte sich Pendergast, von Nora gestützt, noch einmal die steile steinerne Wendeltreppe hinunter, und dann wanderten sie gemeinsam durch die schier endlose Flucht der Kellergewölbe, vorbei an Lengs Sammlungen. Bei dem Gedanken an das versteckte Gift, das hier unten lagerte, lief Nora ein Schauder über den Rücken. In der Waffenkammer wartete ein
Weitere Kostenlose Bücher