Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
vor.«
»Dann nehmen Sie sich’s jetzt vor! Schließlich sind Sie unsere Mitarbeiterin der Woche. Die Leute werden sich die Augen nach Ihnen ausgucken. Wir beabsichtigen übrigens, eine Pressemitteilung über Ihr heroisches Handeln herauszugeben und darauf hinzuweisen, dass das Beispiel unserer Mitarbeiterin Dr. Kelly exakt der seit vielen Jahren gepflegten Tradition des Museums entspricht, Bürgersinn und Verbundenheit mit dieser Stadt zu zeigen. Sie selbst werden natürlich keine Kommentare abgeben, sondern sich auf die gebotene Vertraulichkeit berufen.« Er nahm das Smokingjackett von der Stuhllehne, schlüpfte hinein, zupfte ein imaginäres Härchen von der Schulter und fuhr sich mit der Hand über die wie immer untadelige Frisur. »Ich bin sicher, Sie werden in Ihrem Kleiderschrank etwas Passendes für den heutigen Abend finden.«
»Und wenn ich Nein sage? Ich meine, wenn ich nicht bereit bin, mich an den Vorstellungen zu orientieren, die Sie mir so wortreich dargelegt haben?«
Brisbane legte die Manschettenknöpfe an, drehte sich zu ihr um und wollte zu einer Erwiderung ansetzen, als seine Augen plötzlich zur Tür abirrten. Nora folgte seinem Blick.
Und da stand er: Dr. Coloppy persönlich, ernst und feierlich, die Hände vor dem Bauch gefaltet wie ein anglikanischer Diakon. Eine eher unscheinbare Erscheinung, in der auf den ersten Blick niemand den Museumsdirektor vermutet hätte. Was ihn aber nicht daran gehindert hatte, sich als neue Ehefrau ein bildhübsches, vierzig Jahre jüngeres Mädchen auszusuchen und so den Lästermäulern im Museum reichlich Stoff für boshafte Kommentare und anzügliche Vermutungen zu liefern.
Ein notorischer Griesgram, aber heute war er wie ausgewechselt. Er nötigte sich sogar ein Lächeln ab, kam auf Nora zu,fasste nach ihrer Hand, hielt sie fest und schenkte ihr einen Blick, der all den Charme und die Vitalität versprühte, die er gewöhnlich hinter demonstrativer Unnahbarkeit verbarg.
»Ich bin mit Ihrer Arbeit vertraut, Nora, ich habe sie von Anfang an mit großem Interesse verfolgt. Der Gedanke, dass die wundervollen Ruinen im Chaco Canyon unter dem Einfluss der Azteken entstanden, wenn nicht gar von ihnen selbst errichtet worden sind – meine Liebe, das ist eine enorm wichtige, ich wage sogar zu sagen: eine bahnbrechende Entdeckung.«
»Nun, wenn Sie das so sehen …« Ein sanfter Druck seiner Hand brachte Nora zum Schweigen.
»Ich war über die Kürzungen in Ihrer Abteilung nicht unterrichtet, Nora. Wir müssen zwar alle den Gürtel enger schnallen, es könnte aber sein, dass die Kürzungen in Ihrem Fall vielleicht ein wenig unangemessen ausgefallen sind.«
Nora konnte es sich nicht verkneifen, zu Brisbane hinüberzuschielen, aber dessen Gesicht war zur Maske erstarrt.
»Glücklicherweise sind wir in der Lage, Ihren Etat aufzustocken und Ihnen darüber hinaus die achtzehntausend Dollar zur Verfügung zu stellen, die Sie zur Auswertung der C-14-Daten benötigen. Ich werde Ihre Arbeit weiterhin mit großem Interesse verfolgen, zumal es mir vergönnt war, als Junge die wundervollen Chacoanruinen zu sehen. Und raten Sie mal, wer sie mir gezeigt hat? Dr. Morris persönlich!«
»Ich danke Ihnen, aber …«
Wieder ein kurzer Druck seiner Hand. »Bitte, danken Sie nicht mir, Nora! Mr. Brisbane war so freundlich, mich auf Ihre prekäre Situation aufmerksam zu machen. Ihre Arbeit ist enorm wichtig und wird dem Museum hohes Ansehen einbringen. Wenn Sie weitere Unterstützung benötigen, sagen Sie es mir! Rufen Sie mich einfach an!«
Er ließ ihre Hand los und wandte sich geschmeidig zu Brisbane um. »Und jetzt muss ich mich leider entschuldigen,damit ich meine kleine Begrüßungsrede für heute Abend vorbereiten kann.« Sprach’s und war verschwunden.
Nora sah Brisbane fragend an.
Dessen Miene blieb eine undurchsichtige Maske. »Nun wissen Sie, welche Vorteile es Ihnen bringt, wenn Sie sich an den von mir erläuterten Vorstellungen orientieren«, sagte er. »Ich würde an Ihrer Stelle nicht unbedingt herausfinden wollen, wie sich die Dinge entwickeln könnten, wenn Sie es nicht tun.« Er drehte ihr wieder den Rücken zu und warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel. »Also dann – bis heute Abend, Dr. Kelly!«
12
O’Shaugnessy hatte das Gefühl, von hundert Augen angestarrt zu werden, als er hinter Pendergast über die mit einem roten Teppich ausgelegten Stufen zu den mächtigen Bronzetüren des Museum of Natural History hinaufstieg. Irgendwie kam er
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