Pendergast 04 - Ritual - Höhle des Schreckens
Geschrei durchsetzen. Inzwischen hielt es niemanden mehr auf seiner Bank, alle waren aufgesprungen und riefen irgendjemandem irgendetwas zu.
Whits schrille Stimme übertönte alles. »Er ist hier! Seht euch euern Nachbarn an! Sind es Satans Augen, die euch anstarren? Seht genau hin! Und bekehrt euch! Habt ihr vergessen, was der heilige Petrus uns gelehrt hat?…«
Er kam nicht mehr dazu, die Gemeinde an die Worte aus dem Neuen Testament zu erinnern, denn mittlerweile schrien alle durcheinander. Ludwig versuchte, das Kunststück fertig zu bringen, gleichzeitig das Tohuwabohu im Auge zu behalten und sich eifrig Notizen zu machen. Pendergast war der Einzige, der stumm in seiner Ecke verharrte. Corrie grinste nur, ihr machte das Spektakel offenbar Vergnügen. Sheriff Hazen versuchte, mit rudernden Armen und lauter Stimme, die Kirchenbesucher zur Ordnung zu rufen.
Und plötzlich brach in einer der hinteren Reihen ein Handgemenge aus. »Du gottverdammter Mistkerl!«, schrie jemand, und gleich darauf war ein klatschendes Geräusch zu hören und eine Faust zu sehen, die zielsicher auf einem Kinn landete. Gott im Himmel, eine Schlägerei mitten in der Kirche! Ludwig konnte es nicht fassen.
Ein paar beherzte Männer versuchten, die Kampfhähne zu trennen. Schließlich mischte sich Ridder persönlich ein, auf wessen Seite er eingreifen wollte, war nicht klar auszumachen. Auch Sheriff Hazen stampfte wie ein gereizter Stier mit gesenktem Kopf den Mittelgang hinunter. Eine Kirchenbank fiel um, etliche Frauen stießen hysterische Schreie aus.
»Nicht im Haus Gottes!«, rief Wilbur den Gläubigen immer wieder beschwörend zu.
Und Whit schrie unablässig mit überschnappender Stimme: »Seht ihnen in die Augen, und ihr werdet den Teufel erkennen! Atmet tief ein, damit ihr ihn am Schwefelgeruch erkennen könnt! Der Mörder ist unter uns, und es ist niemand anderes als der Leibhaftige! Aber lasst euch nicht von ihm täuschen, er ist listig und verschlagen! Denkt daran: Er verbirgt sich hinter dem Gesicht eines Kindes!«
29
Corrie Swanson saß in ihrem im Schatten der Bäume geparkten Gremlin und fragte sich, warum Pendergast unbedingt zu der kleinen Biegung am Bach chauffiert werden wollte – ausgerechnet jetzt, kurz nach Mittag, wenn die Sonne am mörderischsten brannte. Sie merkte jetzt schon, wie ihr kleine Schweißtropfen von der Stirn und im Nacken unter die Kleidung rannen. Aber so war das nun mal bei Pendergast, er spielte immer ein bisschen den Geheimniskrämer. Jetzt hatte er zum Beispiel den kaputten Beifahrersitz nach hinten geschoben, und da saß er nun mit geschlossenen Augen und tat so, als schlafe er. Nur, inzwischen kannte sie ihn besser, er schlief nicht, er dachte nach.
Der Mann war eben ein Sonderling. Ein netter Sonderling, aber Sonderling bleibt Sonderling.
Sie griff nach dem Buch, das sie gerade las, und schlug es an der Stelle auf, die sie mit einem Eselsohr markiert hatte.
Ice Ship,
unheimlich spannend, aber irgendwie konnte sie sich heute nicht richtig konzentrieren. Es ging ihr einfach zu viel durch den Kopf, zum Beispiel das, was in der Kirche vorgefallen war. Sie klappte das Buch wieder zu und legte es weg.
Ihre Mutter war keine Kirchgängerin, und auch Corrie ließ sich nur selten dort sehen. Diesmal war die lutheranische Kalvarienkirche, soweit sie das beurteilen konnte, voller als je zuvor und die versammelte Gemeinde heillos zerstritten gewesen. Pastor Wilbur hatte Blut und Wasser geschwitzt.
Geschah dem selbstgerechten Pfaffen ganz recht. Wenn sie nur daran dachte, wie borniert er jedes Mal, wenn sein Blick sie streifte, das Gesicht verzogen hatte! Insgeheim hatte sie ihn noch nie gemocht.
Plötzlich merkte sie, dass Pendergast hellwach war und seine hellen Augen auf sie gerichtet waren. »Zum
Castle Club,
bitte«, sagte er.
»Und was wollen wir da?«
»Ich habe gehört, dass Sheriff Hazen und Art Ridder sich dort mit Chauncy zum Lunch verabredet haben. Chauncy wird, wie Sie wissen, morgen seine Entscheidung bekannt geben, welche Stadt das Versuchsfeld bekommt. Da wollen Hazen und Ridder ihm vermutlich noch einmal die Vorzüge von Medicine Creek klar machen. Und ich möchte ihm noch ein paar Fragen stellen, bevor er abreist.«
»Glauben Sie wirklich, dass die drei im Club sind? Ich meine, nach allem, was sich in der Kirche ereignet hat?«
»Chauncy war nicht in der Kirche, er weiß wahrscheinlich gar nicht, was sich da abgespielt hat. Und wenn er’s doch wissen sollte, werden Hazen und
Weitere Kostenlose Bücher