Pendergast 04 - Ritual - Höhle des Schreckens
gesagt?«
»Richtig.«
»Und was musst du für so viel Geld tun?«
»Nichts.« Mein Gott, musste ihre Mutter bei jeder Gelegenheit hinter ihr herschnüffeln?
»Nichts? Nichts?«
»Ich bin seine Assistentin. Mache Notizen für ihn. Und fahre ihn herum.«
»Du weißt doch nicht mal, was eine Assistentin ist! Wer ist dieser Mann? Siebenhundertfünfzig Dollar pro Woche, und nur dafür, dass du ihn durch die Gegend kutschierst? Hast du eigentlich einen Vertrag?«
»In dem Sinne…nicht.«
»Kein Vertrag? Kannst du denn überhaupt nichts richtig machen? Was glaubst du eigentlich, warum er dir derart viel Geld gibt? Kein Wunder, dass du mir nichts von diesem neuen Job erzählen wolltest. Allmählich kann ich mir gut vorstellen, was für ein Job das ist!«
Corrie hielt sich die Ohren zu. Am liebsten wäre sie ins Auto gestiegen und losgefahren, irgendwohin. Noch vor ein paar Wochen hätte sie unten am Bachufer in ihrem Gremlin geschlafen, aber das traute sie sich jetzt nicht mehr.
»Mom, es ist nicht so, wie du denkst, klar?«
»Nichts ist klar! Du gehst noch zur Schule und hast keine beruflichen Fähigkeiten. Ich kenne die Männer und weiß, was sie wollen. Die meisten sind sowieso gemeine Schufte. Du brauchst ja nur an deinen Vater zu denken! Hat keinen Penny lockergemacht, damit ich dich großziehen kann! Dieser Mann, mit dem du dich rumtreibst, ist nie und nimmer FBI-Agent. Einer vom FBI würde keine Schülerin anstellen, die schon etliche Eintragungen im polizeilichen Führungszeugnis hat. Also lüg mir gefälligst nichts vor, Corrie!«
»Ich lüge nicht!« Weg hier!, dachte sie verzweifelt, weit weg, irgendwohin! Nur, nachts waren die Straßen rund um Medicine Creek nicht mehr sicher. Schon auf dem Heimweg hatte sie sich eingebildet, überall düstere Schatten zu sehen. Dabei war es noch nicht mal neun gewesen.
»Wenn das alles ganz harmlos ist, dann bring den Mann einfach mal mit nach Hause! Ich möchte ihn kennen lernen.«
»Damit er sieht, in welcher Abfallgrube wir hausen?«, platzte Corrie in ihrem Zorn heraus.
»Wie redest du denn mit deiner Mutter?«
Corrie hatte endgültig genug. Sie drehte sich um, ging in ihr Zimmer, warf die Tür hinter sich zu und stülpte sich die Kopfhörer ihres CD-Players über. Als sie nach einer Weile vorsichtig horchte, war die keifende Stimme ihrer Mutter verstummt. Wahrscheinlich war sie schlafen gegangen. Wer weiß, vielleicht hatte sie das Streitgespräch bis morgen früh vergessen. Obwohl Corrie das eher bezweifelte, denn ihre Mutter hatte einen ungewohnt nüchternen Eindruck gemacht.
Die CD war abgespielt, Corrie legte keine neue auf. Sie öffnete das Fenster, atmete die Nachtluft ein und lauschte dem Zirpen der Grillen. Es war sehr dunkel draußen, im Wohnwagenpark hätten die Leuchtelemente der meisten Straßenlaternen schon längst ersetzt werden müssen, aber wer hätte sich darum kümmern sollen? Der süßliche Maisgeruch und die stickige Luft machten einem das Atmen schwer.
Du brauchst ja nur an deinen Vater zu denken!, hatte ihre Mutter gesagt. Corrie versuchte, möglichst selten an ihn zu denken, denn der Gedanke an ihn tat ihr jedes Mal weh. Im Grunde hatte sie nämlich nur schöne Erinnerungen an ihn, egal was ihre Mutter sagte. Warum war er einfach weggegangen? Warum hatte er ihr nie geschrieben, um ihr seine Gründe zu erklären? Warum nur?
Sie merkte, dass sich ihr ein paar Tränen in die Augenwinkel drängten. Und wie immer, wenn ihr das Herz schwer war, dachte sie: noch ein Jahr, nur noch ein einziges Schuljahr! Aber als sie dann auf dem Bett lag und sich zum wer weiß wievielten Mal klar machte, dass Medicine Creek eine sterbende Stadt ohne Zukunft und ohne Hoffnung war, kam ihr dieses eine Jahr wie eine Ewigkeit vor.
Irgendwann wachte sie auf. Es war stockdunkle Nacht, die Zikaden zirpten nicht mehr, die Stille hatte etwas Unheimliches. Irgendetwas musste sie aufgeweckt haben, vielleicht ein Traum. Nur, dann hätte sie doch wissen müssen, was sie geträumt hatte. Sie setzte sich auf und lauschte.
Nichts.
Sie ging zum Fenster. Hinter den Wolken spitzte ein Splitter des Mondes hervor. Hitzegewitter tanzten am Horizont, es war gespenstisch, die zuckenden Blitze zu sehen, aber keinen Donner zu hören. Der Geruch reifer Maiskolben drang herein, die stickige Luft war mit ihm geschwängert. Gleich hinter den rabenschwarzen Umrissen des benachbarten Wohnwagens begann das schier unendliche Dunkel der Felder. Nur ein einziger Stern funkelte am
Weitere Kostenlose Bücher