Pendergast 04 - Ritual - Höhle des Schreckens
Himmel.
Plötzlich meinte sie, ein schnüffelndes Geräusch zu hören, als hätte jemand die Nase hochgezogen. War das ihre Mutter? Nein, es schien von draußen zu kommen, aus dem Dunkel. Und ein paar Sekunden später hörte sie das Geräusch wieder. Sie starrte angestrengt ins Dunkel. Das Stück Straße, das sie ausmachen konnte, flimmerte wie ein lautlos fließender Fluss. Ihre Nerven waren zum Zerreißen angespannt. Weiter hinten, bei der Hecke zwischen der Straße und den Wohnwagen, hatte sich da nicht eben etwas bewegt? Eine huschende Gestalt? Oder bildete sie sich das nur ein?
Sie versuchte, das Fenster zuzuziehen, aber es hatte sich wohl wie so oft verklemmt; sie schaffte es nicht. Sie rüttelte verzweifelt an dem Metallrahmen, denn meistens half das. Aber heute wollte sich das verdammte Fenster nicht bewegen lassen. Und je mehr sie sich abmühte, desto mehr geriet sie in Panik.
Sie hörte ein Schnaufen, als schleiche da draußen ein großes, heftig atmendes Tier herum. Es musste ganz in der Nähe sein. Sie hörte auf, am Fensterrahmen zu zerren, und konzentrierte sich darauf, ins Dunkel zu lauschen. Nur, je angestrengter sie lauschte, desto mehr flatterten ihr die Nerven. Sie versuchteabermals ihr Glück mit dem störrischen Fenster, aber alles, was dabei herauskam, war ein blechernes Klappern. Und da draußen schlich irgendetwas herum, das wusste sie genau. Sehen konnte sie nichts, aber sie spürte, dass da etwas war. Und als sie lange genug aus dem Fenster gestarrt hatte, gaukelte die Phantasie ihr vor, doch etwas zu sehen: einen großen, konturenlosen Klumpen, der sich unaufhaltsam auf sie zubewegte.
Vergiss das blöde Fenster, dachte sie, renn lieber zum Schalter und knips das Licht an!
Es wurde hell im Zimmer, aus dem Fenster war ein schwarz gähnendes Loch geworden. Und hinter dem Loch hörte sie ein grunzendes Geräusch, ein kurzes, trockenes Platschen und ein rätselhaftes Rascheln. Dann herrschte wieder Stille. Corrie wich Schritt für Schritt zurück, das dunkle Viereck war ihr nicht geheuer. Ein unkontrolliertes Zittern überlief sie, ihre Kehle fühlte sich wie ausgedörrt an. Draußen war nichts zu sehen, was ihr Angst hätte einjagen können, absolut nichts. Ein, zwei Minuten verrannen. Und dann hörte sie wieder etwas – nur wenige Meter entfernt, ein keuchendes Hüsteln. Oder ein Gähnen? Sekunden später war alles still, aber kurz darauf hörte sie ein lautes Plätschern, als würde jemand einen Wassereimer auf die Straße schütten.
Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ihr Instinkt drängte sie, laut zu schreien, und sei’s auch nur, um die aufgestaute Anspannung loszuwerden.
Die anschließende Stille war schlimmer als all die rätselhaften Geräusche. Und plötzlich war da ein scharfer schnappender Laut, und gleich darauf fing irgendetwas zu rauschen an. Das Rauschen ging in ein sanftes Plätschern über.
Corries Erleichterung war so groß, dass sie weiche Knie bekam. Auf einmal wusste sie, was der Spuk vor ihrem Fenster zu bedeuten hatte.
Sie warf rasch noch einen Blick auf die Leuchtziffern ihres Weckers: Punkt zwei Uhr. Damit war alles klar. Jede Nachtum zwei schaltete sich Mr. Dades Bewässerungsanlage ein. Mein Gott, dass ihr das nicht gleich eingefallen war!
Sie ließ sich ermattet aufs Bett fallen und lauschte auf das leise Plätschern. Es war irgendwie beruhigend, fast wie ein gemurmeltes Wiegenlied. Aber inzwischen war sie innerlich so aufgewühlt, dass es lange dauerte, bis sie endlich einschlafen konnte.
31
Tad Franklin drehte sich so heftig auf die andere Seite, dass er aus dem Bett fiel. Er rappelte sich hoch, fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und langte blinzelnd nach dem klingelnden Telefon.
»Hallo?« Er rieb sich mit einer Hand den Schlaf aus den Augen. Ein Blick aus dem Fenster: Draußen war es noch stockdunkel, ein paar Sterne funkelten am Himmel, am östlichen Horizont zuckte das übliche Wetterleuchten. »Hallo?«
»Tad?« Sheriff Hazens Stimme, sie hörte sich hellwach an.
»Ich bin am Fairview, nicht weit vom Eingang zum Wyndham-Park. Ich brauche dich. In zehn Minuten, klar?«
»Sheriff…« Aber die Leitung war bereits tot, Hazen hatte aufgelegt.
Tad schaffte es in fünf Minuten.
Obwohl die Sonne noch nicht aufgegangen war, hatte sich schon ein Pulk von Leuten aus der nahen Wohnwagensiedlung eingefunden, die meisten im Bademantel, mit Flipflops an den Füßen. Sie standen bedrückt und stumm da. Hazen versuchte, ein Absperrband quer
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