Pendergast 05 - Burn Case - Geruch des Teufels
striktem Schweigen läuft das gewöhnlich darauf hinaus, dass jeder seinem aufgestauten Frust und Ärger Luft macht.«
Pendergast stellte dem Pater Sergeant D’Agosta vor, sie gaben sich die Hand, tauschten ein paar Höflichkeiten aus, und dann konnte Pendergast endlich sein Anliegen vorbringen.
»Um Ihre Zeit nicht über Gebühr in Anspruch zu nehmen, wäre es vielleicht gut, gleich über den Telefonanruf zu sprechen, Pater Cappi.«
Der Pater nickte. »Wie ich der Polizei schon gesagt habe, kam der Anruf am frühen Morgen hier an, nach der Aufzeichnung des Anrufbeantworters um drei Uhr zehn. Er hat mich aber nicht erreicht, weil ich mich, wie jedes Jahr, zwei Wochen zu Exerzitien zurückgezogen hatte. Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, alle Anrufe sofort nach meiner Rückkehr abzuhören. Das ist nach den Ordensregeln streng genommen nicht erlaubt, aber meine Mutter ist schon sehr betagt, und so beruhige ich mein schlechtes Gewissen mit dem Argument, dass die Ordensregeln noch nichts von Anrufbeantwortern wussten. Ich bin, nachdem ich das Band abgehört hatte, sofort nach Long Island gefahren, aber es war natürlich schon zu spät.«
»Warum hat Mr Grove Sie angerufen?«
»Das lässt sich nicht mit wenigen Worten beantworten. Jeremy Grove und ich kennen uns schon seit unserem Studium an der Columbia. Nach dem Examen haben sich unsere Wege getrennt, ich fühlte mich zum Priestertum berufen, und er ist nach Florenz gegangen, um dort Kunstgeschichte zu studieren. Wir waren damals beide sehr religiös – das heißt, ich sollte vielleicht richtiger sagen: Wir waren auf die Erörterung religiöser Themen versessen. Während meines Theologiestudiums am Mount St. Mary haben wir unsere Freundschaft weiter gepflegt, und einige Jahre später habe ich für Grove und seine Braut die Hochzeitsmesse gelesen. Ich habe beide wiederholt in Florenz besucht, sie wohnten in einer prächtigen, in den Hügeln über der Stadt gelegenen Villa.«
»Woher hatte Grove das nötige Geld, um auf so großem Fuß zu leben?«, platzte D’Agosta heraus.
»Tja, das ist eine interessante Geschichte, Sergeant. Er hatte bei Sotheby’s ein Gemälde ersteigert, das für die Arbeit eines späten Raffael-Schülers gehalten wurde. Aber Grove konnte nachweisen, dass es von Raffael selbst stammte, und so hat er das Gemälde für dreißig Millionen Dollar an das Getty Museum verkauft.«
D’Agosta schluckte. »Ein hübsches Sümmchen.«
»In der Tat. Aber worauf ich eigentlich hinauswollte: Er ist während seiner Zeit in Florenz zu einem frommen Mann geworden. Auf intellektuelle Weise, gewissermaßen. Er war ständig darauf bedacht, mich in Diskussionen zu verwickeln. Ja, das gibt es, Mr Pendergast: intellektuelle Katholiken, und Grove war einer davon.«
Pendergast nickte bestätigend.
»Er war sehr glücklich verheiratet«, nahm Cappi den Faden wieder auf, »er vergötterte seine Frau. Und dann, ganz plötzlich, verließ sie ihn und lief mit einem anderen davon. Er war, wie man so sagt, am Boden zerstört, seine ganze Welt brach zusammen, und so richtete sich seine ohnmächtige Wut gegen Gott. Er fühlte sich von ihm betrogen. Er wurde nicht Atheist oder Agnostiker, nein, er warf Gott den Fehdehandschuh hin.«
Cappi saß ein paar Sekunden stumm da, als wolle er seinen eigenen Worten nachlauschen, um sicher zu sein, dass er Jeremy Grove nicht unrecht tat.
»Aus Trotz führte er ein sündhaftes Leben«, fuhr er schließlich fort, »durch das er Gott zu bestrafen glaubte, obwohl er im Grunde sich selbst bestrafte. Er wurde Kunstkritiker – ein Beruf, bei dem die Regeln zivilisierten Benehmens von vornherein außer Kraft gesetzt sind. Kein halbwegs besonnener Mensch würde lauthals herausposaunen, dass dieser oder jener Maler nur jämmerlichen Schund produziere, aber von Kunstkritikern erwartet man das geradezu. Es gibt keinen schändlicheren Berufsstand als den des Kritikers – außer vielleicht den des Arztes, der einer Hinrichtung vorsitzt.«
»Sehr richtig«, stimmte D’Agosta ihm zu. »Je weniger Ahnung die Leute haben, desto lieber erteilen sie Belehrungen. Und wenn ihnen keine Belehrungen einfallen, beschränken sie sich aufs Meckern und Kritisieren.«
»Sergeant D’Agosta schreibt Kriminalromane«, erläuterte Pendergast dem Pater.
»Meine Lieblingslektüre!«, rief Cappi begeistert aus. »Verraten Sie mir einen Ihrer Titel?«
»Der letzte hieß Engel der Hölle « , nuschelte D’Agosta ein wenig verlegen, weil er fürchtete,
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