Pendergast 06 - Dark Secret - Mörderische Jagd
Sache mitmachte? Dass die ganze Geschichte von Pendergasts Tod nur vorgetäuscht war, Teil irgendeines komplizierten Komplotts, um sie an diesen Ort zu locken? Hatte sie es womöglich mit irgendeiner Art von hochentwickeltem Kidnapping-Netzwerk zu tun? Oder hielten die sie fest, um Lösegeld zu erpressen? Je länger Viola sich in diesen Spekulationen erging, desto mehr traten Wut und Empörung an die Stelle der Angst. Doch selbst diese Gefühle verdrängte sie. Besser war es, ihre Energie auf für eine mögliche Flucht zu bündeln.
Sie ging ins Bad zurück und nahm eine rasche Bestandsaufnahme vor: Plastikkamm, Zahnbürste, Zahnpasta, Wasserglas, saubere Handtücher, Waschlappen, Shampoo. Sie nahm das Glas in die Hand. Es war schwer und kalt, echtes Glas.
Sie drehte es gedankenverloren in der Hand. Eine scharfkantige Scherbe würde eine gute Waffe abgeben, könnte aber auch als Werkzeug dienen. Durchs Fenster zu fliehen war ausgeschlossen, und die Tür war mit Sicherheit ebenfalls verstärkt und gesichert. Aber es war ein altes Haus, und die Wände waren wahrscheinlich nicht sehr stabil.
Viola schnappte sich ein Handtuch, schlang es fest um das Wasserglas und schlug dieses mehrfach auf die Kante des Waschbeckens, bis es zersplitterte. Sie nahm das Handtuch wieder ab: Wie sie gehofft hatte, war das Glas in mehrere große Scherben zersprungen. Sie nahm die mit den schärfsten Zacken in die Hand, ging zurück ins Schlafzimmer und trat an die gegenüberliegende Wand. Sorgsam darauf bedacht, keinen allzu großen Lärm zu verursachen, stach sie mit dem spitzen Ende der Scherbe in die Tapete und drückte probeweise fest dagegen.
Die Scherbe rutschte sofort ab und riss dabei ein Stück Tapete heraus. Zu ihrem Entsetzen sah Viola, dass es darunter metallisch glitzerte. Mit spitzen Fingern fasste sie an den eingerissenen Rand der Tapete und schälte sie ab, worauf eine glatte, kalte Metallfläche zum Vorschein kam.
Viola lief es eisig den Rücken herunter. In diesem Augenblick klopfte es an der Tür.
Sie erschrak, dann kletterte sie rasch ins Bett zurück und tat, als schliefe sie. Wieder klopfte es, dann ein drittes Mal, schließlich hörte sie, wie sich ein Schlüssel im Schloss drehte. Die Tür öffnete sich quietschend. Viola blieb regungslos liegen, die Augen geschlossen, die Glasscherbe neben sich unter dem Kopfkissen.
»Liebe Viola. Ich weiß, dass Sie schon auf gewesen sind.«
Trotzdem blieb sie liegen.
»Wie ich sehe, haben Sie bereits herausgefunden, dass ich Ihr Zimmer in Metall eingerichtet habe. Aber nun setzen Sie sich doch auf und hören Sie mit dieser lästigen Scharade auf. Ich habe Ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen.«
Als Viola sich aufsetzte, kehrte ihre Wut zurück. In der Tür stand ein Mann, den sie nicht kannte, auch wenn es sich bei der Stimme unüberhörbar um die von Diogenes handelte.
»Entschuldigen Sie meinen ungewöhnlichen Aufzug. Ich habe mich für die Stadt umgezogen, wohin ich in wenigen Minuten aufbrechen werde.«
»In Verkleidung, wie es scheint. Sie bilden sich offenbar ein, ein rechter Sherlock Holmes zu sein.« Diogenes neigte artig den Kopf. »Was wollen Sie, Diogenes?«
»Ich habe, was ich will – Sie.«
»Wozu?«
Diogenes schenkte ihr ein breites Lächeln. »Wozu ich Sie haben will? Offen gestanden, sind Sie mir völlig egal, mich interessiert nur eines an Ihnen: dass Sie das Interesse meines Bruders geweckt haben. Ich habe Ihren Namen nur einmal über seine Lippen kommen hören, nicht öfter. Das hat meine Neugier geweckt. Glücklicherweise ist Ihr Name einzigartig, Ihre Familie ist prominent, und so konnte ich viel – sehr viel – über Sie in Erfahrung bringen. Ich vermutete, dass Sie meinem Bruder zärtliche Gefühle entgegenbringen. Als Sie mir auf meinen Brief geantwortet haben, wusste ich, dass mein Gefühl mich nicht getrogen hatte und ich einen unermesslich wertvollen Schatz in Händen hielt.«
»Sie sind ein Esel. Sie wissen nichts über mich.«
»Meine liebe Viola, statt sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was ich weiß, sollten Sie sich lieber über zweierlei Dinge Gedanken machen, die Sie nicht wissen – aber wissen sollten. Erstens: Sie können aus diesem Zimmer nicht entkommen. Die Wände, der Fußboden, die Decke und die Tür sind aus genietetem Schiffsstahl. Die Fenster bestehen aus zwei Schichten unzerbrechlichem, schalldichtem, kugelsicherem Glas. Das Fenster verfügt über Spiegelglas, was bedeutet, dass Sie zwar nach draußen sehen können,
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