Pendergast 07 - Maniac - Fluch der Vergangenheit
hier, und mit leerem Bauch arbeitet sich’s nicht gut. Kommen Sie – die Krabbencremesuppe in der Cafeteria lohnt den weiten Weg.«
Bei diesen Worten hellte sich Viola Maskelenes Miene auf. »Zeigen Sie mir, wo’s langgeht, Nora.«
40
In der beengten Dunkelheit von Zelle 44, hoch oben im Isolationstrakt des Hochsicherheitsgefängnisses Herkmoor, lag Special Agent Pendergast und starrte mit offenen Augen an die Decke. Allerdings war das Dunkel nicht undurchdringlich, denn durch das einzige Fenster fiel das harsche Licht der hell erleuchteten Innenhöfe und Anlagen auf die Zellendecke. Aus der benachbarten Zelle hörte man nach wie vor die leisen Klänge des Trommlers, gedämpft und nachdenklich jetzt, ein trauervolles Adagio, das Pendergasts Konzentration auf eigentümliche Weise förderlich war.
Weitere Geräusche drangen an sein empfindliches Gehör: der Klang von Stahl gegen Stahl; ein ferner, erstickter Wutschrei; die endlose Wiederholung eines Hustenanfalls, immer ein dreimaliges Husten kurz hintereinander; die Schritte eines Wärters, der seine Runde drehte. Das große Gefängnis von Herkmoor ruhte, aber es schlief nicht – es war eine Welt für sich, mit eigenen Regeln, Hierarchien, Ritualen und Bräuchen.
Während Pendergast so dalag, erschien auf der gegenüberliegenden Wand ein zitternder kleiner grüner Punkt: der Endpunkt eines Laserstrahls, der aus großer Entfernung durch das Fenster entsandt worden war.
Rasch beruhigte er sich. Dann, nach einem Augenblick, fing der kleine Punkt zu blinken an. Pendergast beobachtete ihn und entzifferte die kodierte Nachricht. Nichts deutete darauf hin, dass Pendergast die Mitteilung verstanden hatte, außer seiner leicht beschleunigten Atmung, als er den Text zu Ende gelesen hatte.
Und dann, ebenso abrupt, wie er gekommen war, verschwand der Punkt wieder. In der nachtdunklen Zelle hörte man ein leises Murmeln. »Ausgezeichnet.«
Pendergast schloss die Augen. Um 14 Uhr des folgenden Tages musste er sich in Hof 4 abermals Lacarras Gang stellen. Und danach – vorausgesetzt, er überlebte diese Begegnung – wartete eine noch größere Aufgabe auf ihn.
Jetzt brauchte er seinen Schlaf.
Indem er eine spezielle und geheime Form der Meditation, anwendete, identifizierte und isolierte Pendergast nun den Schmerz in den gebrochenen Rippen; dann schaltete er den Schmerz aus, eine Rippe nach der anderen. Sein Geist wandte sich der eingerissenen Rotatormanschette in der Schulter zu, der Stichwunde in der Seite, dem dumpfen Schmerz im zerschrammten und geschwollenen Gesicht. Mit kühler mentalerDisziplin isolierte und löschte er den Schmerz in allen Teilen seines Körpers aus.
Solch eine meditative Disziplin war notwendig. Denn vor ihm lag ein Tag, der ihm alles abfordern würde.
41
Die alte Jugendstilvilla am Riverside Drive 891 konnte sich vieler geräumiger Zimmer rühmen, keines jedoch war prunkvoller als die breite Galerie, die sich über die gesamte Vorderseite des zweiten Stocks erstreckte. Die Wand zur Straße bestand aus einer Reihe deckenhoher Fenster, die verschlossen und mit Fensterläden verriegelt waren. An den Enden des langgestreckten Raums führten zwei Flure in rückwärtige Bereiche der Villa. Zwischen den beiden Türen, an der inneren Wand, hingen lebensgroße Ölporträts. Die Galerie war von trüben elektrischen Kandelabern erhellt, die ihr züngelndes Licht auf die schweren, vergoldeten Rahmen warfen. Aus verborgenen Lautsprechern erklang Klaviermusik: schwere, satte Klänge von dämonischer Kompliziertheit.
Constance Greene und Diogenes Pendergast gingen gemäßigten Schrittes die Galerie entlang und blieben vor jedem Porträt stehen, während Diogenes mit leiser Stimme die jeweilige Lebensgeschichte des Porträtierten vorstellte. Constance trug ein hellblaues Kleid mit einer Spitzenleiste aus schwarzer Seide, deren Knöpfe bis zum tiefen Ausschnitt reichten. Diogenes trug eine dunkle Hose und ein silbergraues Kaschmirsakko. Beide hielten ein tulpenförmiges Cocktailglas in der Hand.
»Und das hier«, sagte Diogenes, als er vor dem Porträt eines höchst vornehm gekleideten Adligen stehenblieb, dessen würdevolle Miene einen merkwürdigen Kontrast zu dem flottenSchnauzbart bildete, »ist le Duc Gaspard de Mousqueton de Prendergast, der größte Landbesitzer in der Gegend von Dijon im ausgehenden 16. Jahrhundert. Er war das letzte ehrbare Mitglied der noblen Abstammungslinie, die mit Sieur des Monts Prendegast anfing, der seinen
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