Pendergast 08 - Darkness - Wettlauf mit der Zeit
übernommen worden war. Es war seine Schuld.
Er packte die Tischkante, zog sich daran hoch und registrierte irritiert, dass ihm warmes Blut ins Auge rann. Mit einer wüsten Geste wischte er das Blut weg und bemühte sich, wieder zu klarem Verstand zu kommen.
Ihm war sofort bewusst, dass mit dem Schiff gerade etwas Bedeutendes passierte. Das Deck richtete sich auf, immer schneller, und die
Britannia
schob sich nach vorn, nicht mehr krängend, sondern aufrecht und geradeaus fahrend. Weitere Alarmsirenen heulten auf.
»Was um alles in der Welt –«, rief LeSeur. »Halsey, was ist da los?«
Halsey hatte sich aufgerappelt und starrte voll Entsetzen auf das Anzeigepult für die Motoren vor seinem Gesicht.
Aber er musste es LeSeur nicht erklären. Plötzlich begriff LeSeur, was geschehen war: Die
Britannia
hatte beide drehbaren Achter-Pods verloren – im Grunde genommen ihr Ruder. Die
Grenfell
befand sich jetzt fast exakt voraus, ein paar Dutzend Sekunden noch bis zur Kollision. Die
Britannia
schwang nicht mehr in sie hinein, sondern steuerte in gerader Linie auf sie zu.
LeSeur griff nach dem Funkgerät. »
Grenfell!
«, rief er. »Nicht mehr zurücksetzen, wieder richten! Wir sind nicht mehr manövrierfähig!«
Die Meldung war unnötig. LeSeur sah am Heck der
Grenfell
bereits ein massives Gestrudel; der Kapitän hatte offenbar intuitiv begriffen, was zu tun war. Die
Grenfell
steuerte längsseits an die
Britannia,
kurz bevor die beiden Schiffe sich berührt hätten.
Der Bug der
Grenfell
passierte die
Britannia
. Dabei kamen die Schiffe einander so nahe, dass LeSeur das rauschende Wasser hören konnte, das in den Windkanal gedrückt wurde, den der schmale Spalt zwischen den beiden Rümpfen bildete. Man hörte eine Reihe schlagender und kreischender metallischer Geräusche, als der Backbord-Seitenflügel der Brücke der
Grenfell
an einem der unteren Decks der
Britannia
entlangschrammte und einen riesigen Funkenregen hinter sich herzog. Und dann war alles, ganz plötzlich, vorbei. Die beiden Schiffe hatten einander passiert.
Hurrarufe gellten zwischen den Alarmsirenen auf der Hilfsbrücke. LeSeur hörte über das Funkgerät einen entsprechenden Hochruf von der
Grenfell
.
Der Chefingenieur blickte zu ihm herüber, sein Gesicht war schweißgebadet. »Mr LeSeur, wir haben beide Pods verloren, haben uns die einfach abgerissen …«
»Ich weiß. Und der Rumpf ist leckgeschlagen.« Ein Gefühl des Triumphes stieg in ihm auf. »Mr Halsey, lassen Sie die Achter-Bilgenräume und die Schotts 6 und 5 fluten. Schließen Sie die Bilgenräume mittschiffs.«
Aber Halsey stand nur da.
»Tun Sie es!«, schrie LeSeur.
»Das geht nicht.«
»Warum nicht?«
Halsey streckte die Hände aus. »Weil sich die Schotts automatisch schließen.« Er zeigte auf das Notfallpult.
»Dann öffnen Sie sie! Schicken Sie ein Team da runter, die sollen die Lukentüren manuell öffnen!«
»Das geht auch nicht«, wiederholte Halsey hilflos. »Nicht, wenn sie geflutet sind. Es gibt keine Eingriffsmöglichkeit.«
»Diese gottverfluchte Automatisierung! Wie sieht’s mit den beiden anderen Pods aus?«
»In Betrieb. Jedes liefert volle Kraft an die Schrauben. Aber unsere Geschwindigkeit ist auf zwanzig Knoten zurückgegangen.«
»Und weil die Achter-Pods abgerissen sind, muss die
Britannia
jetzt mit Maschinenkraft steuern.« LeSeur blickte zum diensthabenden Offizier. »Geschätzte Ankunftszeit
Carrion Rocks?
«
»Bei gleichbleibender Geschwindigkeit und diesem Kurs fünfunddreißig Minuten, Sir.«
LeSeur sah aufs Vorschiff der
Britannia
, die nach wie vor die schwere See durchpflügte. Selbst bei zwanzig Knoten wären sie am Arsch. Welche Chancen hatten sie? Keine, soweit er das erkennen konnte.
»Ich gebe den Befehl zur Evakuierung.«
Schweigen senkte sich auf die Brücke.
»Entschuldigen Sie, Sir – wie denn?«, fragte der Chefingenieur.
»Natürlich in den Rettungsbooten.«
»Das geht nicht!«, schrie eine ihm unbekannte Stimme. Es war die einer Frau.
LeSeur wandte den Kopf: Die Frau aus Gavin Bruce’ Gruppe, Emily Dahlberg, hatte die Hilfsbrücke betreten. Ihre Kleidung war zerrissen und klitschnass. Er starrte sie überrascht an.
»Sie können die Rettungsboote nicht zu Wasser lassen«, sagte sie. »Gavin und Niles Welch haben einen Probestart unternommen – ihr Boot ist dabei zerschellt.«
»Zerschellt? Wo stecken Liu und Crowley? Warum haben die sich nicht bei mir gemeldet?«
»Auf dem Rettungsbootdeck hatte sich ein
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