Pendergast 09 - Cult - Spiel der Toten
entweicht das Leben aus dir, stürzt auf den mit Kot verkrusteten Boden, in das schmutzige Heu. Und dein letzter Gedanke ist nicht Hass, ist nicht Zorn, ist nicht einmal Angst. Er lautet einfach:
Warum?
Und dann ist alles –
gnädigerweise
– vorüber.«
Er hörte auf. Grabesstille in der Menge. Sogar D’Agosta verspürte einen Kloß im Hals. Die Rede war sentimental, sie war rührselig, aber sie war auch verdammt anrührend.
Wortlos – er fügte keine eigene Bemerkung zu Estebans Rede hinzu, keinen Aufruf zum Handeln – trat Rich Plock von der Tribüne und schritt entschlossen über das Feld.
Die Menge zögerte und blickte Plock hinterher. Esteban selbst schien überrascht zu sein, nicht ganz sicher, was Plock vorhatte.
Dann kam Bewegung in die Menge, die Leute folgten Plock. Der kleine Mann schritt weiter über das Feld und erreichte die Straße zum Ville. Er drehte sich um und ging darauf weiter, beschleunigte dabei seine Schritte.
»Oh-oh«, sagte D’Agosta.
»Auf zum Ville!«, rief eine Stimme in der jetzt vordrängenden Menge.
»Auf zum Ville! Auf zum Ville!«,
ertönte die Antwort, bereits lauter und drängender.
Das Murmeln wurde zu einem Brummen, das zu einem Gebrüll anschwoll. »Auf zum Ville! Stellen wir die Mörder!«
D’Agosta blickte sich um. Die Beamten schliefen noch halb. Hierauf war keiner gefasst. Im Bruchteil einer Sekunde, so schien es, war die Menge wie elektrisiert, entschlossen und zum Handeln bereit. Ob klein oder nicht, diese Gruppe von Demonstranten meinte es ernst.
»Auf zum Ville!«
»Räumt das Ville!«
»Rächt Smithback!«
D’Agosta zog sein Funkgerät aus dem Holster und stellte es an. »Hier spricht Lieutenant D’Agosta. Wacht auf, Leute, setzt eure Hintern in Bewegung! Die Demonstranten besitzen
keine Genehmigung
, sich dem Ville zu nähern.«
Aber die Menschenmenge bewegte sich weiter – wie eine Flut, nicht schnell, aber unaufhaltsam – die Straße hinunter. Und jetzt schloss sich auch Esteban, mit bestürzter Miene und verspätet, der vorwärtsdrängenden Menge an und versuchte, nach vorn durchzukommen.
»Stellt die Mörder zur Rede!«
»Wenn die ins Ville reinkommen«, schrie D’Agosta ins Funkgerät, »dann ist die Kacke wirklich am Dampfen. Dann kommt es zu Ausschreitungen.«
Er hörte verschiedene aufgeregte Stimmen im Funkgerät – die kleine Gruppe von Beamten versuchte verspätet, ihre Ausrüstung herbeizuholen, sich in Stellung zu bringen und die Demonstranten aufzuhalten. D’Agosta sah, dass sie zu wenige waren und zu spät kamen – sie waren völlig auf dem falschen Fuß erwischt worden. Ob hundert und hunderttausend, es spielte keine Rolle – er sah Mordlust in den Augen der Demonstranten. Estebans Rede hatte sie auf eine Weise ungeheuer angestachelt. Die Gruppe strömte sehr schnell an den Baseballplätzen vorbei auf die Straße zum Ville und vereitelte damit jede Möglichkeit, dass sich die Einsatzwagen der Polizei vor den Protestmarsch stellen konnten.
»Vincent, folgen Sie mir.« Pendergast ging raschen Schritts los und überquerte die Baseballplätze in Richtung Wald. D’Agosta erkannte sofort, was er vorhatte – eine Abkürzung durch den Wald nehmen und den Protestlern zuvorkommen, die die Straße hinunterschritten.
»Schade, dass jemand das Tor zum Ville runtergerissen hat … nicht wahr, Vincent?«
»Lassen Sie diesen Quatsch, Pendergast. Nicht jetzt.« D’Agosta hörte in einiger Entfernung das Skandieren der Demonstranten, ihr Gerufe und Geschrei, während sie die Straße hinuntermarschierten.
Nicht lange, und Pendergast und D’Agosta erschienen ein wenig oberhalb der Demonstranten auf der Straße. Der Stacheldrahtzaun befand sich linker Hand, das Tor lag noch immer flach auf dem Boden. Die Demonstranten bewegten sich im Laufschritt, die vorderen Reihen joggten fast. Plock führte sie an. Esteban war nirgends zu sehen. Die Polizisten, die die Menge in Schach halten sollten, waren weit zurückgefallen, und es bestand keine Möglichkeit, dass sie sich mit den Einsatzwagen vor die Demonstranten stellten. Die Presseleute dagegen hielten gut mit, ein halbes Dutzend lief mit Camcordern neben dem Demonstrationszug her, begleitet von Fotografen und Zeitungsleuten. Am Abend würden alle Nachrichtensendungen über das Desaster berichten. »Sieht so aus, als müssten wir das erledigen«, sagte D’Agosta. Er holte tief Luft, dann trat er auf die Straße und holte seinen Dienstausweis hervor; Pendergast stand neben
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