Pendergast 10 - Fever - Schatten der Vergangenheit
Regeln zu umgehen, seinem Vorgehen am Rande der Legalität. Sie würde die ganze Sache als höchst ärgerlich empfinden, wenn nicht gar als unerträglich. Es könnte sogar ihrer Karriere schaden. Sie erwiderte seinen ruhigen Blick. Wenn dieser Mann nicht wäre, dann würde Vinnie jetzt nicht im Krankenhaus liegen, schwer verwundet, und eine neue Herzklappe brauchen.
Und dennoch … Vinnie hatte sie darum gebeten. Zweimal.
Ihr ging auf, dass sie sich bereits entschieden hatte.
»Nun gut. Ich werde Ihnen helfen, die Sache durchzuziehen. Um Vinnies willen, nicht um Ihretwegen. Aber –« Sie zögerte. »Unter einer Bedingung. Und die ist nicht verhandelbar.«
»Natürlich, Captain.«
»Wenn wir – falls wir – denjenigen finden, der für den Tod Ihrer Frau verantwortlich ist, müssen Sie mir versprechen, ihn nicht umzubringen.«
Pendergast wurde sehr still. »Ihnen ist doch wohl klar, worüber wir hier sprechen? Über den kaltblütigen Mord an meiner Frau.«
»Ich glaube nicht an Selbstjustiz. Zu viele Täter sind tot, bevor sie vor Gericht gestellt werden können. Dieses Mal werden wir dafür sorgen, dass die Gerechtigkeit ihren Lauf nehmen kann.«
Es entstand eine Pause. »Was Sie da von mir verlangen, ist schwierig.«
»Es ist der Preis für den Tanz«, sagte Hayward schlicht.
Pendergast ließ den Blick lange auf ihr ruhen. Dann, fast unmerklich, nickte er.
48
In der schummrigen Garage hockte ein Mann hinter einem Fahrzeug, das unter einer weißen Leinenhülle verborgen lag. Es war sieben Uhr abends, die Sonne war schon untergegangen. Die Luft roch nach Autowachs, Motorenöl und Schimmel. Der Mann zog eine 9-mm-Beretta-Halbautomatik aus dem Hosenbund, öffnete das Magazin und überprüfte nochmals, ob es voll war. Nachdem er die Pistole wieder zurück hinter den Gürtel gesteckt hatte, öffnete und schloss er die Hände dreimal, wobei er abwechselnd die Finger streckte und ballte. Die Zielperson würde gleich eintreffen. Der Schweiß lief dem Mann in den Nacken, und eine Sehne zuckte im Oberschenkel, doch er nahm weder das eine noch das andere wahr, so sehr konzentrierte er sich auf das, was gleich geschehen würde.
Frank Hudson erkundete das Gelände der Penumbra-Plantage nun schon seit Tagen, er hatte die Bewegungen und Gewohnheiten der Bewohner des Hauses gründlich studiert. Es wunderte ihn, wie lax die Sicherheitsmaßnahmen waren: nur ein schrulliger, halbblinder Diener, der das Haus morgens aufschloss und abends wieder zuschloss, und zwar so pünktlich, dass man die Uhr danach stellen konnte. Zwar war das Eingangstor tagsüber geschlossen, aber nicht verriegelt, außerdem wurde es offenbar nicht überwacht. Bei seiner gründlichen Recherche hatte er keinerlei Anzeichen für Überwachungskameras, Alarmanlagen, Bewegungsmelder oder Infrarotstrahlen entdeckt. Die heruntergekommene alte Plantage lag so weit ab vom Schuss, dass er, Hudson, von regelmäßigen Polizeipatrouillen kaum etwas zu befürchten hatte. Außer der Zielperson und dem Diener hatte er kaum einen Menschen in dem Herrenhaus entdeckt. Nur eine ziemlich attraktive Frau mit einer tollen Figur hatte er ein paarmal gesehen.
Die Gewohnheiten von Hudsons Zielperson, einem gewissen Pendergast, stellten die einzige Unregelmäßigkeit im ewig gleichen Tagesablauf dar, der auf der Penumbra-Plantage herrschte. Er kam und ging zu absolut unvorhersehbaren Zeiten. Doch Hudson observierte das Gelände nun schon so lange, dass er in Pendergasts Kommen und Gehen allmählich ein kleines Muster erkannte; und dieses Muster kreiste um Wein. Wenn der schlurfende alte Diener anfing, das Abendessen vorzubereiten, und eine Flasche Wein entkorkte, dann kehrte Pendergast nicht später als halb acht Uhr abends nach Hause zurück. Öffnete der Diener keine Flasche, so bedeutete das, dass Pendergast nicht zu Hause aß und viel später am Abend eintraf, wenn überhaupt.
Und an diesem Abend stand – deutlich sichtbar durch die Fenster vor dem Speisezimmer – auf einem Sideboard eine entkorkte Flasche Wein.
Hudson sah auf die Uhr. Er spielte in Gedanken durch, wie die Sache ablaufen würde, was er vorhatte. Plötzlich stutzte er. Von der Einfahrt her drang das Geräusch knirschender Autoreifen auf Kies zu ihm in die Garage. Jetzt galt’s. Hudson wartete, atmete flach. Der Wagen kam vor der Garage zum Stehen, der Motor im Leerlauf. Eine Wagentür wurde geöffnet, gefolgt vom Geräusch von Schritten. Die Garagentüren schwangen auf, erst die eine, dann die
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