Pendergast 12 - Fear - Grab des Schreckens
fiel auf wie ein bunter Hund. Was genau seine Absicht war.
Er machte sich in halsbrecherischem Tempo auf zum Kai, wobei er laut erklärte, dass der Königin-Beatrix-Schmetterling die Uferzonen bevorzuge und dass seine Tageszeit die Abenddämmerung sei, nicht der Sonnenuntergang, aber dass man ja nie wisse. Egon schien nicht zuzuhören, er folgte ihm mit hartnäckiger Verbissenheit, nie ermüdend, immer das Tempo mitgehend.
Die Boote am Kai waren wunderschön instand gehalten, einige waren allerdings viel größer, als normalerweise zum Fischen im See notwendig war. Dazu gehörten zwei große motorisierte Barkassen, auf denen schweres Gerät und exotische Gerätschaften unbekannter Funktion standen – auch diese waren weitaus größer, als es für eine abgeschiedene bäuerliche Gemeinschaft erforderlich zu sein schien. Wie die großen Schiffe an diesen isolierten Ort transportiert worden waren, ließ sich nicht einmal erahnen. Es wurde allmählich Abend, und auf dem Kai herrschte reger Betrieb, als die Fischer begannen, den Tagesfang auszuladen, der dann in Eis gelegt und auf schwere Handkarren geladen wurde. Ein Bild des Fleißes, der harten Arbeit und der offenkundigen Selbstversorgung – ein scheinbar vorbildliches Gemeinwesen. Pendergast fiel auf, dass es in der Stadt keine einzige Bar, kein einziges Café zu geben schien.
»Egon, sagen Sie einmal: Sind in dieser Stadt alle Abstinenzler? Ist der Konsum von Alkohol nicht erlaubt?«
Diese Frage, Pendergasts erste, wurde von Egon nicht beantwortet, er zeigte nicht einmal, dass er sie gehört hatte.
»Nun gut. Dann lassen Sie uns weitergehen.«
Mit schnellen Schritten ging Pendergast den Kai entlang. Schließlich verzog sich das schlechte Wetter ganz und wich einem schönen, ja sogar spektakulären Sonnenuntergang, wobei der große orangefarbene Sonnenball durch die zinnoberroten Wolkenschichten auf der gegenüberliegenden Seite des Sees versank, das Wasser feuerrot färbte und die grimmige Festungsruine auf ihrer einsamen Insel draußen in der Seemitte wie eine Silhouette erscheinen ließ.
Unmittelbar hinter dem anderen Ende des Kais war eine ungewöhnliche Felsformation zu erkennen: In etwa zehn Meter Entfernung voneinander waren drei große Steine, eher schon Felsblöcke, bemerkenswert identisch hinsichtlich Größe und Form, in einem groben Dreiecksmuster angeordnet. Hier blieb Pendergast stehen und nahm sich einen Augenblick Zeit, um einen Blick zurück auf die Stadt zu werfen, die sich an den Hängen des alten Vulkans emporzog. Ein Bild der Ordnung, Sauberkeit und Tüchtigkeit. Die Gebäude waren wunderschön gepflegt, frisch verputzt, die Fensterläden in fröhlichem Grün und Blau gestrichen. Viele Gebäude verfügten über Blumenkästen, die vor Blumen überquollen. Kein Müll, nicht einmal ein Kaugummipapier war zu sehen; keine Graffiti, keine streunenden Hunde – beziehungsweise überhaupt keine Hunde, keine Obdachlosen, Betrunkenen oder Gammler, keine Streitereien auf der Straße, kein Geschrei oder übermäßiger Lärm.
Außer Hunden und Müll schienen auch noch andere Dinge zu fehlen. Zwar sah man viele Menschen in mittlerem und in hohem Alter, aber keine Gebrechlichen, keine Dicken, keine Menschen mit Körperbehinderungen. Und, was Pendergast mit großem Interesse registrierte, keine Zwillinge.
Es war, kurz gesagt, ein vollkommenes kleines Utopia, verborgen in den Tiefen des brasilianischen Urwalds.
Mit Einbruch der Dunkelheit gingen um die Inselfestung herum die Lichter an, lichtstarke Juniperlampen, die die Befestigungsmauern in grelles Weiß tauchten. In der Stille der Dämmerung, während er auf dem Kai stand, hörte Pendergast von jenseits des Wassers Geräusche: das Summen von Stromgeneratoren, das Scheppern von Maschinen, das Knistern von Elektrizität und, sehr leise über dem dunklen See treibend, etwas, das das Kreischen eines Vogels oder vielleicht auch ein Angstschrei sein konnte.
60
J enseits des Kais und hinter einer Uferbiegung lag ein Kieselstrand. Vierhundert Meter weiter begann der Wald, eine dunkle, abweisende, anscheinend undurchdringliche Mauer. Der Himmel wurde dunkler. Die Sonne glitt durch die letzten Wolkenschichten und versank am Horizont in einem Wirbel aus Licht.
Pendergast griff in seinen Rucksack und zog eine Infrarot-Taschenlampe hervor, wandte sich zum gleichmütigen Egon um und sagte mit gedämpfter Stimme voll unterdrückter Erregung: »Mein lieber Freund, jetzt kommt die Zeit des Königin-Beatrix.«
Er
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