Pendergast 12 - Fear - Grab des Schreckens
befanden sich Dutzende Blätter von etwas, bei dem es sich offenbar um rohe Skizzen und Vorstudien zu Gemälden handelte. Sie waren stockfleckig und verblasst und ähnelten im Stil stark jenen, die er in der Historischen Gesellschaft gesehen hatte.
Felders Atem ging schneller.
Mit zitternden Händen begann er in den Studien zu blättern. Die ersten waren unsigniert, aber die dritte trug in der unteren rechten Ecke eine Signatur: WINTOUR, 1881.
Schnell blätterte er nach hinten in der Mappe. Dort – innen am hinteren Deckel, mit einem schmalen Leimstrich befestigt – befand sich ein Briefumschlag, brüchig und vergilbt. Er holte das Skalpell aus seiner Tasche und schnitt den Umschlag los. Seine Finger waren so taub und ungelenk, dass er zwei Versuche benötigte, um das Kuvert zu öffnen.
Darin befand sich eine kleine Locke dunklen Haars.
Einen Augenblick lang starrte er wie gebannt darauf, mit einer seltsamen Mischung der Gefühle: Triumph, Erleichterung, ein wenig Skepsis. Also stimmte es – es war alles wahr.
Aber halt – war das denn das richtige Haar? Es gab ja noch zwei weitere Mappen. Hatte Wintour womöglich auch Haarlocken von anderen Mädchen gesammelt? Das kam ihm zwar unwahrscheinlich vor, aber er musste es überprüfen.
Felder steckte den Umschlag ein und legte die Mappe zurück aufs Regal, zog die nächste Mappe herunter und sah sie schnell durch. Weitere Skizzen und Aquarelle. Er spürte, wie sein Atem vor Angst schneller ging, er wollte die Sache endlich hinter sich bringen. Hier drin war keine Locke. Er schob die Mappe zurück ins Regal und nahm die dritte herunter, blätterte rasch darin, wobei er in seiner Hast mehrere Seiten einriss. Wieder nichts. Er klappte die Mappe zu und schob sie zurück, aber in seiner Hast war er nicht so behutsam wie zuvor, so dass er ein dumpfes Geräusch verursachte, als er sie ganz bis zur Rückwand des Bücherschranks schob.
Er erstarrte, sein Herz klopfte. In der großen, kalten Stille des Hauses hallte der leise Laut wie ein Donnerschlag.
Felder wartete.
Aber in dem eiskalten Haus war es mucksmäuschenstill. Er spürte, wie er sich allmählich entspannte, seine Atmung sich verlangsamte. Kein Mensch hatte etwas gehört. Er war bloß paranoid.
Er tastete nach dem Briefumschlag in seiner Tasche, was ein trockenes, knisterndes Geräusch produzierte. Erst jetzt, als seine Angst nachließ, begriff er vollends, was seine Entdeckung bedeutete. Alle Zweifel waren verschwunden. Constance war tatsächlich hundertvierzig Jahre alt. Sie war gar nicht verrückt. Sie hatte von Anfang an die Wahrheit gesagt.
Seltsamerweise schockierte ihn diese Erkenntnis nicht so sehr, wie er gedacht hatte. Irgendwie wusste er bereits, dass es stimmte: wegen der ruhigen, sachlichen Art, mit der sie stets an ihrer Version der Geschichte festgehalten hatte; weil sie haarklein das zeitgenössische Aussehen der Water Street in den 1880er Jahren hatte schildern können; und weil sie einen grundehrlichen Charakter hatte. Tatsache war: Das hier wollte er glauben, weil …
Mit lautem Krachen öffnete sich die Kassettentür zur Bibliothek – und Dukchuck kam zum Vorschein. Gekleidet in seine formlose Batik-Robe, in der Hand dieselbe grausige Waffe, die Felder schon einmal gesehen hatte, starrte er ihn aus schwarzen Knopfaugen an.
Mit einem Schreckensschrei rannte Felder zum Fenster, aber Dukchuck war schneller. Mit langen Schritten lief er durch den Raum und knallte das Fenster zu. Dabei bewegte er sich derart leise, dass es beinahe furchterregender war als ein Schrei, und entblößte seine Zähne zu einem animalischen Grinsen. Und da fiel Felder auf, dass sie spitz zugeschliffen waren. Mit einem Aufschrei versuchte Felder, sich zu wehren, aber Dukchuck war auf ihm, ein tätowierter Arm schlang sich um seinen Hals und zog sich wie eine Garotte zu, was seinen Schrei erstickte.
Felder wehrte sich wie verrückt und spürte einen jähen, weißglühenden Ausbruch von Schmerz, als der Knüppel gewaltig seine Schläfe traf. Seine Knie knickten ein, Dukchuck schleuderte ihn zu Boden, versetzte ihm einen wüsten Hieb auf die Brust, der ihn zu Boden warf, wo Felder sich weiter wehrte, aber unfähig zu atmen.
Ein roter Nebel stieg vor seinen Augen auf, er kämpfte darum, bei Bewusstsein zu bleiben, und fasste sich an die Brust, bis er schließlich imstande war, nach Luft zu schnappen. Als der Nebel sich langsam verzog und sein Gesichtsfeld klarer wurde, sah er Dukchuck im schwachen Licht des Flurs
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